Der Wahrheit verpflichtet
11. Oktober 2025 - Patrick Jetzer

Smart City – schöne neue Stadt?

Patrick Jetzer
St. Gallen ist stolz auf das Label «Smart City» – und steht damit längst nicht allein. Doch hinter der Fassade der digitalen Modernität steckt ein globales Konzept, das mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt: Wem nützt der technologische Fortschritt wirklich und was kostet er die Bürger? Werden St. Gallen und weitere Städte in der Schweiz und weltweit Schritt für Schritt zum Versuchsfeld globaler Digitalkonzerne degradiert? Zwischen Funknetzen, eSport und selbstbestellenden Kühlschränken droht die Stadt den Blick fürs Wesentliche zu verlieren: den Menschen. – ein Kommentar von Patrick Jetzer von Aufrecht St. Gallen

Schon vernommen? St. Gallen ist eine Smart City – nachzulesen auch in diesem aktuellen HOCH2-Artikel. Ebenso sind Zürich, Genf, Lausanne Smart Citys. Weitere 50 Städte beschäftigen sich mit Smart-City-Aktivitäten. Dazu gibt es eine lange Liste von Anwärter-Städten und 69, welche anonym (!) bleiben wollen.

Schon lange ist die Gallus-Stadt Teil dieses globalen Konzeptes. Hierbei handelt es sich notabene um ein bereits stehendes Gesamtkonzept, welches von den städtischen Strategiepapiere gerühmt wird, weil das Rad so nicht neu erfunden werden müsse. Richtig! Man kann viel Gewünschtes übernehmen. Man muss jedoch auch Nonsens übernehmen, um «part of the game» zu sein. Egal ob man eine Millionenstadt wie New York oder eine Kleinstadt wie St. Gallen ist. Inkludiert werden Schwächen und Fragwürdigkeiten.

Die Digitalisierung hat Gutes und Schlechtes. Fällt der Begriff Digitalisierung, entfällt kritisches Hinschauen nur allzu oft. Wer dennoch Kritik übt, wird mit dem Vorwurf der Rückständigkeit oder mit Plattitüden wie «man könne die Entwicklung nicht aufhalten», abgespeist. Als demokratische Gesellschaft sollten wir jedoch den Anspruch an uns selbst haben, gestalten und mitgestalten zu wollen.

Wie smart ist St. Gallen wirklich?

Die Smart City, also auch die Stadt St. Gallen, fördert smartes Wohnen. Der in den städtischen Strategiepapieren namentlich erwähnte selbstbestellende Kühlschrank lässt grüßen! St. Gallen fördert eSport. Ich habe extra nachgeschaut, was darunter zu verstehen ist. Es sind keine Gymnastik-Videoclips, es sind tatsächlich Computerspiele! Die Stadt St. Gallen erstellt ein LoRaWAN (Long Range Wide Area Network) Funktechnologie-Netz.

Mir stellt sich hier wirklich die Frage, ob dies die Aufgaben der Stadt sind und ob da nicht gewisse Branchen-Interessen dahinterstehen. Schaut man sich an, wer hinter dem Smart-City-Konzept steht, so sind es die globalen Digitalkonzerne. Schaut man sich weiter an, wer die Supporter der Smart-City-Umsetzung in St. Gallen sind, so sind es ebenfalls Techfirmen, Dienstleister und Interessenten der Digitalisierung.

Was kostet die ganze Digitalisierung, das Konzept, die entsprechenden Stellen, welche dafür eingesetzt wurden und konnten damit im Gegenzug Personalkosten eingespart werden? Eine durchaus berechtigte Frage bei einer Kleinstadt mit etwa 1.2 Milliarden Verschuldung.

Wie dargelegt, ist Smart City ein globales Konzept. Wenn Ihre Stadt Teil davon oder auch nur Anwärter ist, werden in Ihrer Stadt in absehbarer Zeit ganz ähnliche Maßnahmen eingeführt werden – oder sie sind es bereits. Die versprochenen Kostenersparnisse bleiben aus und dies in einer Zeit, wo gerade die Städte in der Schweiz hoch verschuldet sind.

Es wird dunkel: Lichtimmissionsreglement

In meinem letzten Artikel habe ich über die Vorlage des Lichtimmissionsreglement informiert. Dieses für die Bevölkerung sehr einschneidende Reglement könnte bei einem Inkrafttreten sehr einfach umgesetzt werden. Ein paar Sensoren, welche über das LoRaWAN «Lampensünder» voll digitalisiert erfassen und die entsprechenden Bußen zusenden. Natürlich wird das nicht morgen schon der Fall sein, aber machbar ist es problemlos. Die Frage stellt sich mehr nach dem Wann, als nach dem Ob.

Hoffnungsschimmer in der Dunkelheit

Offenbar regt sich erste Gegenwehr in der Bevölkerung. Im Zürcher Bezirk Uster hat sich die Initiative «Go offline» etabliert, an der sich bereits zahlreiche Gemeinden beteiligen. Ihr Ziel: Kinder bis vier Jahre konsequent vom Bildschirm fernzuhalten. Ein kleiner, aber wichtiger Schritt – während der Kanton St. Gallen mit seiner IT-Bildungsoffensive selbst Kindergärten mit iPads ausstattet. Da stellt sich unweigerlich die Frage: Wollen wir Silicon Valley wirklich auch noch steuerlich fördern?

 

Lieber Leser, Digitalisierung kann ein Werkzeug sein – oder ein Käfig. Jetzt ist der Moment, um genau hinzuschauen: Welche Projekte dienen wirklich dem Menschen und welche nur den Konzernen? Informieren Sie sich, stellen Sie Fragen, beteiligen Sie sich an öffentlichen Mitwirkungen – bevor die Entscheidungen endgültig gefällt sind. Denn «smart» sollte eine Stadt erst dann heißen dürfen, wenn sie klug genug ist, ihre Freiheit zu bewahren. Schreiben Sie uns Ihre Meinung dazu doch in die Kommentare!

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