Der Wahrheit verpflichtet
30. September 2024 - Frauenärztin Dorin Ritzmann darüber, warum eine Privatpraxis zu eröffnen, eine Möglichkeit ist, den verarmenden Regulierungen zu entkommen

Frauenärztin Dorin Ritzmann darüber, warum eine Privatpraxis zu eröffnen, eine Möglichkeit ist, den verarmenden Regulierungen zu entkommen

Frauenärztin Dorin Ritzmann darüber, warum eine Privatpraxis zu eröffnen, eine Möglichkeit ist, den verarmenden Regulierungen zu entkommen
Dorin Ritzmann ist Fachärztin für Frauenheilkunde Gynäkologie und Geburtshilfe. Sie ist bereits pensioniert, arbeitet aber noch und berichtet über die Situation der Ärzteschaft in der Schweiz, über das Gesundheitswesen und über ihre Ideen, was man anders und besser machen könnte und wie das Gemeinwesen hier helfen könnte.

Das Interview wurde als Spende für HOCH2 von D. G. verschriftlicht, gekürzt und gestrafft. Den gesamten Vortrag in Videoform können Sie HIER anschauen.

Vor fünf Jahren hat sich Dorin Ritzmann entschieden, sich nicht mehr vom Bundesrat und vom KVG regulieren zu lassen. Das sei zwar in der Schweiz eine Ausnahme, aber nicht im Ausland. Also im südlichen Afrika, in Los Angeles und Südafrika seien auch die Chirurgen und viele Gynäkologen und Urologen nicht mehr in der Sozialversicherung tätig, weil sie über Jahre oder Jahrzehnte genauso reguliert wurden wie die Ärzteschaft heute hier. Dies sei zwar immer ein großes Risiko, weil die Leute ja alles selber bezahlen müssten.

Alle Kollegen hätten daher gesagt, sie sei Don Quixote. Sie werde in einem Jahr untergehen. Aber Dorin Ritzmann erwiderte darauf jeweils: Im Gegenteil, sie sei Marco Polo, der nach neuen Ufern suche. Und so lebe sie heute noch und sei glücklich, weil sie das machen könne, was die Leute wirklich brauchen.

Dorin Ritzmann thematisiert in ihrem Vortrag folgende Fragen:

  • Wie wird die niedergelassene Ärzteschaft bankrottiert oder zerstört?
  • Wie werden die internationalen Medizinketten gefördert?
  • Was bedeutet es, eine ärztliche Grundversorgung ohne bundesrechtliche Regulation anzubieten?
  • Sind dies dann wirklich Privatpraxen? Oder sollteman sich überlegen, unabhängige, regionale Gesundheitszentren aufzubauen?

Regulierung der niedergelassenen Ärzteschaft

Zwischen 2007 und 2009 soll Altbundesrat Pascal Couchepin zwei interessante Äußerungen gemacht haben. Die eine war, dass er keine niedergelassenen Ärzte mehr wollte. Die Arbeit würden genauso gut die Apotheken oder das Gesundheitspersonal übernehmen können. Und begonnen hätte er das, indem er die Preise für die Laboranalysen deutlich gesenkt hätte. Was in drei Jahren dazu geführt hätte, dass 90 % der Schweizer medizinischen Labors verkauft werden oder aufgeben mussten. Und seit 2009, wenn ein Hausarzt ein eigenes Labor betreibe, sei das ein teures Hobby. Die Ärzte, die noch in der Grundversorgung seien, würden für eine Blutanalyse einer Blutsenkungsreaktion – das sei eine Blutentnahme, eine Stunde oder zwei Stunden ablesen plus Patientenaufklärung – einen Franken bekommen. Dies sei heute die Realität. Und damals schon hätte sie den Eindruck gehabt, wie lange es wohl brauche, um die Ärzteschaft kaputt zu machen. Zwischen 2009 und heute hätte ein grosser Teil der Ärzteschaft aufgegeben, sich frühpensionieren lassen, sei ins Angestelltenverhältnis gewechselt, hätte sich zusammengetan oder den Beruf komplett verlassen.

Ritzmann geht zudem darauf ein, wie die niedergelassene Ärzteschaft reguliert wird. Die niedergelassenen Ärzte seien jene mit Praxen. Es gebe davon jedoch immer weniger und vor allem auch immer weniger, die wirklich unabhängig seien. Jene, die also selbst mit den Patienten und Patientinnen sprechen und sie beraten könnten, welches Medikament jetzt für sie ungünstig sei und ob sie vielleicht lieber TCM oder Ayurveda oder irgendetwas anderes machen wollten und was in solchen Fällen eben auch etwas anderes sein könnte, als was die medizinische Großindustrie möchte.

Parademokratische Santésuisse

Die medizinische Großindustrie sei seit etwa fünf Jahren weltweit das drittgrößte Geschäft geworden neben dem Waffen- und Drogengeschäft. Dieser «very big industry» gefalle natürlich die lokale Konkurrenz ganz und gar nicht. Ihr wirtschaftliches Credo: Du musst zuerst die lokale Konkurrenz ausradieren und dann kannst du ganz übernehmen. Die niedergelassenen Ärzte hätten zunehmend Zulassungsbegrenzungen, einen massiv steigenden administrativen Aufwand, sinkende Einnahmen und es gäbe kein zusätzliches Einkommen.

Beim vierten Punkt ginge es um die sogenannten Rückforderungen. Dies ebenso eine Idee von Pascal Couchepin. Er habe 2001 die Santésuisse ins Leben gerufen. Diese habe den Auftrag erhalten, als parademokratische Privatinstitution die niedergelassene Ärzteschaft zu kontrollieren, ob diese nicht zu viel verlangten. Es ging dann durch die Presse, wie viel die Ärzte verdienen würden und dass Schwarzgeld im Spiel sei. So wurde die Stimmung aufgebaut. Aber in Tat und Wahrheit sei das ganze ein Mafia-ähnliches System.

Wenn sie, Dorin Ritzmann, etwas mache, das nicht dem Durchschnitt entspräche, könne sie bestraft werden und müsse Geld bezahlen. Sie praktiziere außer Gynäkologie auch Psychologie, Hypnose und Phytotherapie. Weil die Leute dies ja alles selbst bezahlen würden, da dieser Betrag unter der Franchise läge, wollte Sante Suisse sie zu 600'000 Franken Buße verdonnern, ohne dass sie jemals so viel verdient hätte.

Und das wurde damit begründet, dass sie vom Durchschnitt der Gynäkologen im Kanton und später in der ganzen Schweiz abweiche. Dorin Ritzmann dachte nicht daran, diesen Betrag zu bezahlen. Sie habe kurzerhand Herrn Perez, damals Chef-Wirtschaftsprüfer der Santésuisse, kontaktiert und ihn gefragt, wozu sie so viel bezahlen müsse. Sie hätte doch alle Zertifikate. Herr Perez erwiderte ihr, das sei ganz einfach, erstens, ihre Patienten würden zu wenig operiert, zweitens nähmen sie zu wenig Medikamente und drittens fühlten sich die Leute zu gesund, und letztlich mache sie doch eine merkwürdige Therapie, die Phytotherapie. Diese persönliche Anketdote zeige den heutigen Zustand des schweizerischen Gesundheitswesens sehr gut, meint Dorin Ritzmann.

Mafia-Methoden

Ein wahres Beispiel: Die Santésuisse kam zu einer Ärztin und verlangte 400'000 Franken. Die Ärztin sagte, sie könne nicht so viel bezahlen. Santésuisse fragte, wie viel sie denn bezahlen könne? Die Ärztin schlug 250'000 Franken vor, Santésuisse zeigte sich damit einverstanden, Deal gemacht! Das seien absolute Mafiamethoden. Wie viel die Krankenkassen durch diese Rückforderungen einnähmen, wisse sie nicht. Es wäre wohl ein interessantes Forschungsgebiet zu untersuchen, wie viel Geld die Krankenkassen nicht deklarieren.

Dies sei einer der Gründe gewesen, wieso Dorin Ritzmann am Schluss gesagt habe, tschüss miteinander, es gehe einfach nicht mehr. Eine Privatpraxis zu eröffnen sei eine Möglichkeit, diesen Regulierungen zu entkommen.

Niemand dürfe ihr nun sagen, ob sie manuelle Medizin mache oder nicht und niemand dürfe ihr vorschreiben, ob sie Phytotherapie anwende oder nicht. Sie könne ihre Medizin machen, wie sie wolle, aber sie sei gleichzeitig darauf angewiesen, dass die Leute das auch zahlen können. Sie habe natürlich keinerlei Sicherheiten. Bei ihr werde das Labor von der Grundversicherung nicht bezahlt, auch nicht die Phytotherapie, auch nicht ein bildgebendes Verfahren. So arbeite sie mit vielen niedergelassenen Hausärzten zusammen, die das dann übernähmen. So könne man das auch machen. Sie brauche auch wenig bildgebende Verfahren. Es gäbe unterdessen Zusatzversicherungen, die bis zu 90 % für Ärzte im Ausstand bezahlten.

Die Gefahr dabei sei natürlich, dass die Bevölkerung verarme und sie ganz neue Regulationen bekäme. Eben auch durch die WHO-Pläne, die da drohten. Aber auch durch sogenannte Qualitätssicherungssysteme, unter deren Deckmantel sehr viele eigenartige Geschichten im Gange seien.

Gemeingut als mögliche Lösung

Die Gesundheit sei ein Gemeingut. Und für Gemeingut, Regulierungen und Organisation gäbe es gewisse Regeln, nach denen es langfristig funktionieren könne. Die regionale Selbstorganisation sei typischerweise nachhaltig, günstig, sehr ressourcenschonend und langlebig. Es gäbe eine Frau, die einen Nobelpreis  für Wirtschaft erhalten habe, Elinor Ostrom. Sie habe das Buch geschrieben «Governing the Commons» (1990), als zu deutsch «Das gemeinsame Gut verwalten». Ein Teil davon wurde in der Schweiz untersucht. Es sei eine Feldforschung gewesen. In der Schweiz gäbe es auch eine Geschichte in Sachen Gemeingut: die Allmenden oder die Wasserversorgung im Wallis beispielsweise. Wenn die sieben Punkte, die Ostrom in ihrem Werk anspreche, eingehalten würden, könne man davon ausgehen, dass es funktioniere und langlebig sei. Und langlebig hieße in diesem Fall 200 bis über 1000 Jahre.

Und dies sei auch das, was Dorin Ritzmann jetzt in den 35 Jahren ihrer Medizinkarriere gesehen habe. Die Selbstheilung sei das Wichtigste und man müsse eigentlich nur sie unterstützen. Dorin Ritzmann ist überzeugt, dass dasselbe auch für eine Gemeinschaft gelte, man Ideen sammeln müsse, wie man das regional machen und unter Umständen auch Versicherungen einbinden könne, mitunter auch regionale Krankenkassen. Es gäbe keinen Grund sogar auch Spitäler oder Polykliniken, das Bestehende schon einzubinden, aber in ein selbst verwaltetes System!

Zum gesamten Vortrag geht es HIER.

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