Der Wahrheit verpflichtet
11. September 2025 - Regina Castelberg

Digitale Selbstbestimmung statt gläserner Bürgerausweis

Regina Castelberg
Eine e-ID ohne digitale Grundrechte ist wie ein Schloss ohne Tür: hübsch, aber nutzlos – und brandgefährlich. Bevor wir elektronische Ausweise einführen, brauchen wir einklagbare Rechte – auf Privatsphäre, Datensouveränität, Teilhabe und Transparenz. Alles andere ist digitale Fahrlässigkeit.

Die Politik träumt mal wieder. Diesmal heißt die Vision «e-ID» – der elektronische Ausweis, der alles einfacher, sicherer und digitaler machen soll. Klingt schön. Nur: Bevor wir uns blind in die nächste technologische Abhängigkeit stürzen, sollten wir vielleicht erst die Hausaufgaben machen. Und zwar dringend. Denn was nützt eine digitale Identität, wenn die fundamentalen digitalen Grundrechte immer noch auf wackligen Beinen stehen? Eine e-ID ohne vorherige Rechte ist wie ein Schloss ohne Tür: hübsch anzusehen, aber bei genauerem Hinsehen völlig unbrauchbar – zumindest für den Bürger – und vor allem hochgefährlich. Ja, die e-ID ist ein politischer Traum, vor allem für jene Politiker mit Kontroll- und Allmachtsfantasien. Für die Bevölkerung ist der Ausdruck «Albtraum» wahrscheinlich noch zu milde gewählt.

Schwammige digitale Rechtslage

Wir reden hier nicht von Luxus-Rechten. Wir reden vom Recht, vergessen zu werden, vom Recht, nicht von Maschinen beurteilt zu werden, vom Recht, dass unsere Daten sicher aufbewahrt werden und nicht als Beute im nächsten Hackerforum enden. Wir reden vom Recht, nicht überwacht zu werden, vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung und davon, dass unsere Daten ohne Zustimmung nicht einfach durch die Gegend geschoben werden. Natürlich sind diese Dinge durch unsere bestehenden Rechte an sich teils geschützt, doch in der Praxis ist man im Normalfall ausgeliefert, wenn digitales Unrecht geschieht und hat wenig Handhabe. Hier besteht akuter Konkretisierungsbedarf.

Und das ist nur der Anfang. In einer echten digitalen Demokratie – sofern man dann eine solche unbedingt möchte – müsste es selbstverständlich sein, dass dann auch jeder ein Recht auf digitale Teilhabe hat – also dass die Politik Zugang zu schnellem und bezahlbarem (oder gar kostenlosem?) Internet als Grundversorgung garantiert. Auch Netzneutralität – also dass Daten unabhängig von deren Herkunft, Inhalt, Anwendung, Absender, Empfänger in Netzen gleich behandelt werden – darf kein frommer Wunsch bleiben, sondern gehört ins Grundgesetz der Digitalisierung. Ebenso das Recht auf Anonymität, denn Freiheit im Netz heißt auch: selbst entscheiden zu können, wann ich mit Klarnamen rede und wann nicht. Und eine echte e-ID sollte da sein, um den Nutzern Freiheit zu gewähren und nicht, um jeden ihrer digitalen Fussabdrücke zu überwachen und zu kontrollieren.

Recht auf analoges Leben als Grundlage der digitalen Rechte

Wir brauchen Transparenz, bevor uns der Algorithmus bewertet wie ein kreditunwürdiges Versuchskaninchen. Wir brauchen Datensouveränität, bevor Unternehmen und Staaten sie uns vor der Nase wegschnappen. Wir brauchen echte, ausgewogene digitale Bildung, bevor wir in der nächsten Desinformationswelle ertrinken – besonders auch, wenn diese Desinformationen von Staat selbst kommen, der ja dann in Zukunft am Hebel der digitalen Identität sitzen würde. Wir brauchen ein Recht auf Sicherheit, bevor Cyberkriminelle unseren digitalen Pass als Einwegartikel missbrauchen. Und ja, wir brauchen auch das Recht auf Abschalten – denn wer 24/7 verfügbar sein muss, ist nicht frei, sondern gekettet. Und als Grundlage aller digitalen Rechte, brauchen wir vor allem eines: das Recht auf ein komplett analoges Leben, für alle, die das vorziehen.

Erst wenn diese Rechte verbrieft, durchsetzbar und einklagbar sind, ergibt eine e-ID zumindest ansatzweise Sinn. Andernfalls bekommen wir eine Hochglanz-Infrastruktur, die auf einem Fundament aus Sand steht und statt den Staat transparenter, was dringend nötig wäre, nur den Bürger immer gläserner macht.

Falsche Reihenfolge korrigieren

Wie könnte das gehen? Ganz einfach: Wir haben Verfassungen, wir haben Grundrechte. Ergänzen wir sie um das, was längst Realität ist: das digitale Leben. Legen wir fest, dass jede technologische Neuerung – ob e-ID, KI oder Datenplattform – nur eingeführt werden darf, wenn die digitalen Grundrechte nicht nur gewahrt, sondern gestärkt werden. Keine Testballons mehr, die am Ende über unseren Köpfen zerplatzen.

Die Reihenfolge ist glasklar: Zuerst Rechte, dann Identität. Alles andere wäre digitale Fahrlässigkeit, die möglicherweise nicht mehr zu korrigieren ist.

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