Von einer kleinen Büroeinheit in Cambridge, Massachusetts, hinaus auf die Felder der Welt: Terrana Biosciences, ein junges Spin-off des Biotech-Konzerns Flagship Pioneering, will mit Hilfe von selbstreplizierender RNA nichts Geringeres als die Zukunft der Landwirtschaft schreiben. Und zwar wörtlich – direkt in das lebende Pflanzengewebe. Anfangs Juli gab das Unternehmen sein Vorhaben durch eine Pressemitteilung der Welt bekannt.
RNA per Spray
Die Idee klingt wie aus einem Science-Fiction-Roman, ist aber laut den eigenen Aussagen der jungen Biotech-Firma Terrana wissenschaftlich fundiert: Über spezielle Formulierungen werden RNA-Schnipsel per Spray oder Luftverteilung auf Nutzpflanzen ausgebracht. Diese gelangen durch mikroskopisch kleine Verletzungen in das Blattgewebe und lösen dort definierte biologische Reaktionen aus – etwa die Aktivierung von Abwehrmechanismen gegen Schädlinge oder die Verstärkung von Trockenheitsresistenz. Laut Terrana kann die Wirkung sogar an die nächste Generation vererbt werden. Und das alles, so betonen die Entwickler, ohne das Genom direkt zu verändern.
«Wir nutzen den natürlichen Dialog innerhalb der Pflanzenzellen, um neue agronomische Eigenschaften zu erzeugen», sagt Ryan Rapp, CEO von Terrana. Er beschreibt das Verfahren als eine Art «intelligentes Update-System» für Pflanzen – flexibel, wiederholbar und ohne klassische Gentechnik. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz wird die passende RNA-Sequenz für die jeweilige Pflanze und Herausforderung modelliert. Mehr als 15 Produktkandidaten seien bereits in der Entwicklung, Tests auf Tomaten, Soja und Mais laufen.
Von Moderna zu Terrana
Die Plattform klingt nach einer ökologischen Wende in der Landwirtschaft. Doch der Blick hinter die Kulissen offenbart, wie komplex – und politisch aufgeladen – diese Innovation ist.
Flagship Pioneering ist kein unbeschriebenes Blatt: Der Risikokapitalgeber war Mitgründer des mRNA-Impfstoffherstellers Moderna. Auch bei Terrana flossen über 50 Millionen US-Dollar Startkapital aus den Kassen des Biotech-Investors. In führenden Rollen finden sich Namen wie Ignacio Martinez (Invaio, Syngenta), Amy O’Shea (Ex-Corteva) und sogar der frühere Monsanto-CEO Hugh Grant. Dass Akteure mit einer Vergangenheit in der agrochemischen Industrie nun RNA-Sprays als gesundheitsunschädliche und umweltfreundliche Lösung vermarkten, wirft mehr als nur kritische Fragen auf.
Denn auch wenn keine permanente Veränderung am Erbgut stattfindet, was die Hersteller zumindest behaupten, bleibt die Technik hochinvasiv. Was passiert, wenn RNA-Schnipsel über die Zielpflanze hinaus in die Umwelt geraten? Welche Folgen hat die Vererbbarkeit der künstlich initiierten Eigenschaften für Biodiversität und Züchtung? Und wo verläuft die Grenze zwischen «nicht-genetisch verändert» und faktisch modifiziert?
Rechtlicher Graubereich
Bislang fehlen für RNA-Sprays klare regulatorische Leitlinien. Terrana bewegt sich damit – wie viele Pioniere disruptiver Technologien – in einem rechtlichen Graubereich. Während klassische Gentechnik in vielen Ländern strengen Zulassungsverfahren unterliegt, könnte diese neue Methode unter dem Radar bleiben. Wissenschaftler und Umweltverbände fordern daher eine präzise Abgrenzung und unabhängige Begleitforschung.
Auch ethische Fragen stehen im Raum: Wessen Interessen dienen solche Technologien – den Landwirten, der Umwelt oder primär Investoren und Agrarkonzernen? Die technologische Machbarkeit allein reicht nicht mehr aus, um Vertrauen zu schaffen. In einem System, das immer stärker auf technologische Steuerung setzt, müssen gesellschaftliche Debatten Schritt halten.
Fest steht: Terrana Biosciences hat einen Stein ins Rollen gebracht, der das Verhältnis zwischen Biotechnologie, Landwirtschaft und Natur neu verhandelt. Ob sich daraus eine nachhaltige Transformation oder eine neue Form biologischer Kontrolle entwickelt, hängt nicht nur von der tatsächlichen Wirksamkeit der RNA-Sprays ab – sondern auch von Regulierung, Transparenz und öffentlicher Debatte, auch über mögliche Nebenwirkungen nebst den bisher unbewiesenen Wirkversprechen der Firma. Doch wenn dies nach dem Vorbild geschieht, wie es mit den RNA-Gentherapien gegen Covid gehandhabt wurde, darf man sich davon nicht zu viel erwarten.
Lieber Leser, liebe Leserin, was denken Sie über den Einsatz von RNA-Sprays für Pflanzen? Lassen Sie es uns in den Kommentaren wissen!
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