Der Wahrheit verpflichtet
01. Mai 2025 - Paul Siegenthal 1

Warum Milei scheitern wird

Paul Siegenthal
Es ist wieder ruhig geworden um Javier Milei, den libertären Präsidenten Argentiniens. Das muss nicht unbedingt schlecht sein. Er hat in der Tat Erfolge erzielt: Die Inflationsrate sank drastisch, die Staatsverwaltung wurde verkleinert und der Peso ist wieder frei konvertierbar. Argentinier können sich das erste Mal in ihrem Leben Auslandsferien leisten. Hypotheken sind berechenbar, der Wohnungsbau floriert. Es steht außer Zweifel, dass die 46 Millionen Argentinier besser dran sind als früher. Warum zum langfristigen Erfolg dennoch nur ein Wunder helfen kann. – Ein Kommentar von Paul Siegenthal, lic. oec. HSG

Milei ist nicht der erste, sondern der vierte libertäre Versuch in Argentinien. Sie alle endeten in einer Katastrophe. Die linken, keynesianischen Gegendesigns ebenfalls.

Das goldene Zeitalter. Der Aufstieg begann im Jahr 1860. die Weltbevölkerung nahm dank der verbesserten Gesundheitsversorgung stark zu. Das Dampfschiff machte den Transport günstiger. Argentinien konnte liefern: Die unendlich saftigen Weiden der Pampas waren hervorragend geeignet für die Herstellung von Fleisch und Getreide.

Die globale Weltwirtschaftskrise. Die goldene Ära endete im Jahr 1929. Um ihre Industrie zu schützen, führten die meisten Länder hohe Zölle ein. In den USA, Kanada und Australien sorgte der starke Wettbewerb im Inland für ein Wirtschaftswachstum. Auch die Argentinier machten dicht, allerdings hatten die Großgrundbesitzer kein Interesse an Industrie und Wettbewerb. Sie waren davon überzeugt, dass die Industriellen sie wie in Europa von der Macht verdrängen würden. Nach alter südamerikanischer Sitte hatten sie die Armee als Rückversicherung.

Der erste libertäre Versuch. José Martínez de Hoz, ein Anhänger Milton Friedmans und Wirtschaftsminister unter der Junta von Jorge Videla, liberalisierte die Märkte und reduzierte die Zölle. Er hoffte auf ausländische Investitionen, die dem Land wieder auf die Beine helfen. Stattdessen brachte er die Wirtschaft an den Rand des Kollaps. Den Pistoleros fiel nichts Besseres mehr ein, als die Falklandinseln zu besetzen.

Der zweite Versuch: Menem. Die Junta dankte ab, die Demokratie kehrte zurück und mit ihr das Gelddrucken (Raul Alfonsin). Nachfolger Menem versuchte es erneut mit einer neoliberalen Politik, führte Privatisierungen durch und koppelte den Peso an den Dollar. Diesmal kamen tatsächlich Investoren, allerdings nicht solche, die man sich wünscht: Spekulanten. Sie wollten schnell Kasse machen mit den privatisierten Unternehmen. Auch Menem hielt die Hand auf.

Der dritte Versuch: Macri. Der Nachfolger von Menem (Nestor Kirchner) ließ erneut im großem Umfang Geld drucken. 2015 kam Macri ins Amt, der erneut neoliberale Ansätze verfolgte; dies führte nicht zu einem Erfolg. 2019 kehrte Kirchner (genau gesagt seine Frau) zurück und druckte fröhlich weiter.

Fassen wir zusammen: Seit 1929 gelang es Argentinien nicht, langfristiges Investitionskapital anzuziehen, um eine solide Industrie aufzubauen. Die Wirtschaftspolitik schwankte von einem Extrem ins andere. Abwechselnd wurden neoliberale bzw. keynesianische Geldpolitik praktiziert. Keine funktionierte.

Jetzt kommen wir zu Milei. Er hat viel erreicht und die schlimmsten Exzesse seiner Vorgänger korrigiert. Die Inflation ist hinnehmbar und der Wechselkurs ist freigegeben. Es wirkt so, als ob die Armee loyal ist. Die Oligarchie hat nicht die Option, ihn bei Bedarf aus dem Sattel zu putschen. Eigentlich sind alle Parameter auf Grün, damit das Kapital zu fließen beginnt.

Wird er scheitern? Mit hoher Wahrscheinlichkeit ja. Argentinien ist bis heute ein Agrarstaat geblieben, da die Industrialisierung nie gelang. Kapital ist wie ein scheues Reh, dass auf langfristige Stabilität angewiesen ist. Es kamen Spekulanten, die das Elend noch verschlimmerten.

Milei ist kein Unternehmer, sondern ein Professor der Wirtschaft. Nachdem er für Ordnung im Geschäft gesorgt hat, muss er jetzt auf ein Wunder hoffen.

Gibt es «die richtige Wirtschaftspolitik»? Offenbar nicht, wie Argentinien zeigt. Kulturelle Faktoren sind entscheidend. Das  Wirtschaftswunder in Deutschland war das Resultat einer industriell entwickelten, gebildeten und arbeitsamen Bevölkerung. Die emsige, disziplinierte und gut gebildete Bevölkerung Chinas ist der Grund für den Aufstieg des Landes. Die anthropologischen Faktoren entscheiden letzten Endes über den Erfolg. Für einen Ökonomen ist das eine bittere Einsicht.

 

Quellen:

https://tradingeconomics.com/argentina/indicators

https://www.xe.com/currencycharts/?from=USD&to=ARS

 

Lieber Leser, liebe Leserin sehen Sie es auch so wie unser Kommentator, dass Argentinien auf ein Wunder hoffen muss, um die positiven Entwicklungen der letzten Jahre aufrecht erhalten zu können? Oder haben Sie hier eine ganz andere Ansicht? Lassen Sie es uns in den Kommentaren wissen!

 

© Bild: Paul Siegenthal

60 3

1 Kommentar zu “Warum Milei scheitern wird”

Schreiben Sie einen Kommentar