Der Wahrheit verpflichtet
06. Juni 2025 - Istvan Hunter 2

Wie machen Politiker «Demokratie»?

Istvan Hunter
Tragen heutzutage die Bürger die Verantwortung für die Taten «ihrer» Politiker, weil diese ja schließlich repräsentativ gewählt wurden? Nein, kommt unser Autor zweifelsfrei zum Schluss. – Eine politische Beweisführung von Istvan Hunter, Lehrer und Pflegefachmann

Laut Wikipedia ist Demokratie «ein politisches System, bei dem das Volk eine wesentliche mitbestimmende Funktion einnimmt. Typische Merkmale einer Demokratie sind freie Wahlen, das Mehrheitsprinzip, die Respektierung politischer Opposition, Verfassungsmäßigkeit und Schutz der Grundrechte

Da dies eine allgemein respektierte Definition zu sein scheint, beginnen wir zunächst mit dieser. Der entscheidende Punkt ist tatsächlich die Frage, in welchem Verhältnis dieses Volk (Demos) zum politischen System selbst, beziehungsweise zu den Politikern steht.

Eine häufig gehörte Behauptung besteht darin, dass das Volk herrschen sollte oder würde (griech. Δημοκρατία, von δῆμος [dēmos], «Volk», und κρατία [kratía], «Herrschaft».) Dazu ist zunächst zu sagen, dass das Volk nicht herrschen kann, wenn man darunter die direkte Ausübung der staatsgebenden Gewalt oder die Durchsetzung von Rechtsnormen oder die, wie auch immer geartete Ausübung von Herrschaft im eigentlichen Sinne versteht. Mehrere können sowieso nicht herrschen. Zur Herrschaft taugen immer nur einzelne. Also immer nur (griech. oligoi), «wenige». Deshalb wird hier formuliert: «Demokratie ist ein politisches System, bei dem das Volk eine wesentliche mitbestimmende Funktion einnimmt.» Eine wesentliche mitbestimmende Funktion einnehmen ist von «Herrschen» ziemlich weit entfernt.

Was bedeutet Demokratie heute?

Das ändert sich auch durch die direkte Demokratie ganz und gar nicht. Die gern geäußerte Behauptung, das Volk sei der «Souverän», konterte der Nationalist Carl Schmitt daher mit dem Gegenargument: «Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.» Dies galt 1933 nicht weniger, als es 2025 gilt.

Zu sagen, das Volk müsse der Souverän werden, ist daher als Ideal oder als anzustrebender Zustand formuliert durchaus in Ordnung. Nimmt man es aber wörtlich oder glaubt, dieses Ideal sei heute verwirklicht, begeht man einen groben Fehler. Denn offensichtlich ist das Volk nicht in dem Sinne souverän wie ein Staatspräsident oder eine einzelne Person. Das Volk ist keine geschlossene Einheit, die einen einzigen unteilbaren Willen hätte. Es ist keine Rechtspersönlichkeit, die man nach Gutdünken befragen und von der man eine einheitliche Antwort erhalten könnte. Im Gegenteil: Weil das Volk nicht souverän sein und weil es nicht herrschen kann, wurde die repräsentative Demokratie ja überhaupt erst geschaffen! Die Gründe dafür sind systemimmanent (siehe Artikel «Hält das halbdirekte Demokratiemodell, was es verspricht?») und betreffen nicht eine besondere Form der Demokratie. Das heißt, sie lassen sich nicht dadurch ändern, dass man die repräsentative Demokratie um die halbdirekte Demokratie erweitert oder ähnliches.

Die deutsche Bürgerrechtsbewegung irrt sich entsprechend, wenn sie glaubt, Deutschland dadurch demokratisieren zu können, dass sie die halbdirekte Demokratie nach dem Vorbild der Schweiz einführt. Die Schweiz ist, wie jede andere moderne «Demokratie» auch, eine repräsentative Demokratie (mit direktdemokratischen Elementen). Also eine halbdirekte Demokratie. Man sollte nicht direkte Demokratie sagen.

Das Märchen des «herrschenden Volkes»

Die nächste Frage ist nun, inwiefern «freie Wahlen», «Mehrheitsprinzip», die «Respektierung politischer Opposition» und «Verfassungsmässigkeit» überhaupt dazu führen können, dass das Volk eine wesentliche mitbestimmende Funktion einnimmt. Dazu gibt es verschiedene Demokratietheorien. Eine der besten, vom üblichen Diskurs abweichenden Beschreibungen von Demokratie, enthält meiner Ansicht nach der von Karl Popper begründete Kritische Rationalismus.

Die üblichen Demokratietheorien behaupten, «Das Volk soll herrschen» oder «Die Mehrheit soll herrschen». Nach Karl Popper ist diese Frage falsch gestellt und die Antwort auch falsch, weil weder das Volk noch die Mehrheit, sondern die Regierung in einer Demokratie tatsächlich herrscht. Die richtige Frage lautet gemäß Karl Popper, wie eine Tyrannis vermieden werden kann und wie der Staat so gestaltet wird und die Gewalten so geteilt und kontrolliert werden können, dass Herrscher keinen zu großen Schaden anrichten und unblutig abgesetzt werden können. Handlungen von Regierungen sind daher grundsätzlich nie durch die Volkswahl legitimiert und können sich auch nicht über die Moral stellen. Weder das Volk noch die Regierung sind oder sollten souverän sein; die Regierung muss Minderheiten auch gegen den Willen von Mehrheiten schützen und das Volk muss die Regierung gegen ihren Willen bei Wahlen zur Verantwortung ziehen.

Die demokratische Wahl ist keine souveräne Auswahl und Legitimation einer neuen Regierung, die den Willen des Volkes oder der Mehrheit durchsetzt, sondern sie ist ein Volksgericht oder ein Verdikt über die bestehende Regierung, bei dem Bürger darüber entscheiden, ob sie tüchtig genug ist und ob ihre Handlungen moralisch vertretbar sind.

«Volkswillen» als Propaganda-Parole

Dass Politiker durch eine Volkswahl zu konkreten politischen Handlungen weder beauftragt noch legitimiert werden, kann jedem nach einigen Sekunden des Nachdenkens sofort klarwerden. Umgekehrt haben Politiker natürlich ein Interesse daran, den Wählern immer wieder einzureden, sie würden in ihrem Dienst gewählt und seien gerade daran den «Volkswillen» auszuführen. So nachvollziehbar diese Strategie auch ist, sie ist selbstverständlich reine Propaganda. Dass der gewählte Politiker den Wählerwillen sehr selten direkt umsetzen kann, und, dass er durch seine Wahl vom Wähler nicht legitimiert wird, hat David Dürr in seinem Werk Staatsoper Schweiz eindrucksvoll dargestellt.

Die Theorie der Mehrheitsherrschaft muss daher durch die Theorie der Entlassungsgewalt der Mehrheit ersetzt werden. Davon auszugehen, dass die Politiker im Dienst des sogenannten Souveräns gewählt und beauftragt werden, ist schlicht und einfach doppelt falsch: Weder werden sie durch eine Wahl zu konkreten Handlungen beauftragt, noch ist das Volk souverän. Solange dieser Irrtum nicht eingesehen wird, besteht in Wirklichkeit ein sehr bedeutsames Hindernis für eine adäquate Weiterentwicklung der Demokratie, die dringend nötig ist. Denn im Sinne der Dreigliederung müssen Politiker nicht nur sofort abgesetzt werden können, wenn sie nicht mehr im Dienst der Mehrheit herrschen, sie müssen auch um bedeutende Aufgaben erleichtert werden, damit ihre Herrschaft keinen Schaden anrichtet. Dies betrifft alle Aufgaben, die sie jetzt zwar ausführen, aber in Wirklichkeit nicht kompetent ausführen können, weil sie dazu demokratisch nicht beauftragt sein können. Abgesehen davon, dass es nämlich nicht möglich ist, dass die Bevölkerung die Politiker zu bestimmten politischen Handlungen beauftragt, ist es erst recht nicht möglich, dass sie Politiker zu Fragen des Geistes- oder des Wirtschaftslebens beauftragt, weil diese Handlungen von der Bevölkerung nicht im Detail eingesehen und kontrolliert werden können.

Grenzen staatlicher Entscheidungsgewalt

Während es noch angehen kann, dass die Bevölkerung Politiker in die Pflicht nimmt, wenn es um Fragen von Grundrechten und Sicherheitsfragen geht, kann sie Politiker kaum wirksam beauftragen, wenn es um Bildung, Kultur, Wissenschaft, Kunst, Medizin, Geldpolitik oder Wirtschafts-investitionen geht. Dies aus dem einfachen Grund, weil der Staat dafür erstens nicht die Kompetenz hat und zweitens diese Fragen von der Mehrheit der Bevölkerung nicht entschieden werden können. Sie dürfen daher, wie alle Fragen des Geistes- und des Wirtschaftslebens, nicht von Politikern oder Staaten entschieden werden. Das ist ja gerade die Lehre aus der Coronazeit, dass der Staat eben über bestimmte Bereiche überhaupt keine Entscheidung zu treffen hat. Wenn er es doch tut, so wird er notwendig korrumpiert. Dies hat Hans Tschäni schon 1983 eindrucksvoll gezeigt und es hat sich seither eher verschlimmert (Wer regiert die Schweiz, Hans Tschäni, 1983). Ein gutes Beispiel dafür sind auch die Medien, weshalb wir in Bälde hoffentlich wieder darüber abstimmen, den Medien Staatsmittel zu entziehen und nicht zusätzlich welche zu geben (NEIN zu Mediensubventionen).

Übergriffige Regierungen und Organisationen

Besonders deutlich wird die Übergriffigkeit staatlicher Institutionen im Geistesleben auch in internationalen Abkommen und Verträgen, die die Schweizer Regierung derzeit zu treffen im Begriff ist. Bei Petitionen gegen WHO-Verträge und auch der Kompass-Initiative handelt es sich um reine Notwehrmaßnahmen der Bevölkerung gegen eine übergriffige Regierung, beziehungsweise gegen internationale Organisationen wie die UN, WHO und die EU, die ihre Hegemonie und Dominanz auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerungen in ihren Ländern durchsetzen wollen. Hier geht es letztlich um Macht- und Geopolitik, die auch klar so benannt werden sollte. Politiker, die solchen Verträgen Vorschub leisten oder ihnen das Wort reden, tun es im Interesse durchschaubarer Machtpolitik und können erst recht nicht in Anspruch nehmen, für die Bevölkerung zu handeln. Sie müssten sofort abgewählt werden. Es ist überhaupt in den meisten Fällen bei Politikern nicht so sehr die Frage, was sie inhaltlich vorbringen, um ihre Wähler zu beeindrucken. Viel wichtiger ist, von welchen Lobbygruppen sie abhängig sind. Entweder indirekt durch ihre Parteien oder direkt durch entsprechende Verwaltungsratsmandate etc. Da linke Geschmacksrichtungen sich meistens durch den Staat alimentieren lassen sind sie tendenziell auch für mehr staatliche Einflussnahme und von daher übergriffiger. Das heißt jedoch nicht, dass rechts-konservative Kreise prinzipiell weniger bevormundend sind.

Fazit: Was bedeutet Demokratie heute?

Damit sollten ein paar Antworten darauf gefunden sein, was Demokratie heute bedeutet und auch darauf, ob die Bürger Verantwortung für die Taten «ihrer» Politiker (aufgrund ihrer repräsentativen Wahl) tragen. In beiden Fällen ist die Antwort negativ:

Was heute Demokratie heißt, ist weder Volksherrschaft noch Beauftragung von Politikern zu Herrschaft durch das Volk. Bürger tragen daher keine Verantwortung für die Taten von Politikern. Das Handeln von Politikern wird von komplexen und für den Normalwähler völlig undurchschaubaren Mechanismen und Machtfragen bestimmt. Da der Wähler Politiker nicht zu konkreten Sachgeschäften beauftragt und auch nicht beauftragen kann, trägt er für diese logischerweise auch keine Verantwortung. Beweis dafür sind die tausendfach gewählten Politiker, die stets das Gegenteil von dem tun, wozu sie (anscheinend) beauftragt wurden oder was sie vor der Wahl versprochen haben (siehe Beispiel Friedrich Merz). Erst recht kommt den Wählern keine Verantwortung zu bei einer Parteienwahl. Die von einer Partei nominierten Köpfe, also diejenigen, von denen sie glaubt, machtpolitisch die besten Resultate zu erhalten, handeln primär im Interesse der Partei und nicht in demjenigen der Bevölkerung. So schrieb Hans Tschäni bereits 1983: «Die staatliche Tätigkeit ist dem Einfluss der wirtschaftlichen Gewalten legal preisgegeben. Legal auch deshalb, weil Interessenvertretung mit Verwaltungsrats- und Verbandsmandaten im Parlament als selbstverständlich gilt. (…) Diese starke Vermischung zwischen staatlichen und privaten Kräften hat (…) zu einem verbreiteten Misstrauen geführt. (…) Die Folge dieses Misstrauens ist, das sich bereits zwei Drittel des Souveräns von den Verläufen des Staatsgeschehens abgewandt haben.» (Wer regiert die Schweiz, Hans Tschäni, 1983)

Wahlen sind in diesem Zusammenhang mehr der Ausdruck einer Oligarchisierung der Demokratie als einer Demokratisierung. Das wusste schon Aristoteles: «Es gilt zum Beispiel für demokratisch, die Staatsämter durch Los, und für oligarchisch, sie durch Wahl zu besetzen.» (Gegen Wahlen, David van Reybrouck, 2022, S. 74)

Nichtsdestotrotz heißt das nicht, dass wir nicht in einer Art «Repräsentativer Oligarchie mit demokratischen Elementen» leben. Wir haben die Wahl bestimmter Gruppierungen, die in der Hoffnung an die Macht gewählt werden, dass sie jeweils das «kleinere Übel» sind. Und zwar dadurch, dass sie einer Gruppe von Oligarchen dienen, die der Versuchung zum Totalitarismus widersteht. In dieser Haltung sollte man auch heute zur Wahl schreiten: Es geht nicht darum, das Gute herbeizuwählen, es geht darum, Menschen zu wählen, die das geringere Übel durchsetzen und die eine geringere Gefahr für die Gesamtheit sind. Die Frage, ob dabei überhaupt Politiker zur Verfügung stehen, die ein geringeres Übel sind, ist damit natürlich nicht beantwortet. In der Zwischenzeit muss man daran arbeiten, dem Staat mehr und mehr Aufgaben zu entziehen und sie stattdessen dem mündigen Bürger zu übergeben, so dass sie der Staat gar nicht mehr auszuführen braucht.

 

Hinweis: Der obige Artikel entstand anlässlich einer Versammlungen der Fördergesellschaft Demokratie Schweiz (demokratie-schweiz.ch) wo die im Titel gestellte Frage laut wurde.

 

Istvan Hunter war bereits als Moderator für HOCH2 im Einsatz, sehen Sie hier sein Interview mit Prof. Dr. Michael Esfeld.

 

Lieber Leser, liebe Leserin, können Sie die Argumentation unseres Autors nachvollziehen? Oder haben Sie hier eine ganz andere Ansicht? Lassen Sie es uns in den Kommentaren wissen!

 

© Bild: Nightcafé (KI)

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2 Kommentare zu “Wie machen Politiker «Demokratie»?”

  • Ritmas sagt:

    Vielen Dank für den Artikel.
    In dem Artikel wird die Wahl des kleineren Übels erwähnt.
    Das Problem bei der Wahl des kleineren Übels ist, dass sich die Situation in Zukunft nur verschlechtern wird. Was wir in Wirklichkeit beobachten, ist, dass die Demokratie und damit auch die Rechenschaftspflicht gegenüber den Menschen abnehmen.
    Was kann man tun, damit die derzeitige Situation zumindest erhalten bleibt oder sich sogar langsam verbessert?

    Übersetzt mit DeepL.com (kostenlose Version)

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    • ihunt sagt:

      Dazu muss man einsehen, was das Grundproblem ist. Wenn man das einsieht, kann man auch Schritte in die richtige Richtung anfangen zu tun: https://istvanhunter.substack.com/p/der-letzte-volksvertreter

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