Das Interview wurde als Spende für HOCH2 von D. G. verschriftlicht, gekürzt und gestrafft. Das gesamte Interview in Videoform können Sie hier anschauen.
Regina Castelberg:
Der heutige Vortrag über das Imperium USA wurde vom Lehrernetzwerk Schweiz organisiert. Da waren ganz viele Lehrer heute anwesend. Wenn wir jetzt die Welt als Schulklasse anschauen, alle Länder als Schulklasse: Welche Rolle spielt die USA? Ist es der Klassen-, beziehungsweise der Pausenclown, ist es der Mitläufer, ist es der Bully?
Daniele Ganser:
Es ist der Bully. Es gibt 193 Länder auf der Welt, Frankreich, Schweiz, Italien, Türkei, Korea, Südkorea, Nordkorea, Japan, Brasilien. Wir kennen diese Länder. Und die USA sind das Land, das von 1945 bis jetzt, 2024, am meisten Länder bombardiert hat. Und darum sind die USA der Bully. Und darum habe ich in meiner historischen Forschung auch eigentlich diese ganzen Kriege der USA analysiert. Wenn jetzt China oder Russland so viele Länder bombardiert hätten, würde ich die Chinesen und die Russen kritisieren. Aber es ist tatsächlich halt so, dass die USA diese Liste mit Abstand anführen.
Regina Castelberg:
Wenn Sie jetzt ein globaler Lehrer wären, der auch Strafen aussprechen könnte, wie würden Sie die USA bestrafen?
Daniele Ganser:
Ich würde da differenzieren. Es gibt 330 Millionen Menschen in den USA, die würde ich nicht bestrafen, weil die über ihre eigenen Medien, CNN oder Fox News, sowie New York Times oder Washington Post getäuscht werden. Diese Zeitungen schreiben immer, dass der Irak Massenvernichtungswaffen hätte oder dass wir in der Ukraine intervenieren müssten und so weiter. Diese Printmedien heizen eigentlich jeden Krieg an. Ich würde die Präsidenten nach dem internationalen Recht bestrafen, weil sie die Oberbefehlshaber sind. So zum Beispiel den Präsidenten George W. Bush. Der hatte den Irak 2003 überfallen. Er müsste sich einem Prozess stellen. Aber das passiert leider nicht. Bedauerlicherweise sitzen Journalisten wie Julian Assange im Gefängnis, obwohl die eigentlich die Kriegsverbrechen aufgeklärt haben.
Regina Castelberg:
Verstehe ich das richtig: die Instrumente wären eigentlich vorhanden für die gerechte Strafe. Warum werden die Täter dann nicht bestraft?
Daniele Ganser:
Weil die USA das Narrativ beherrschen. Also die USA erzählen eigentlich immer, die Chinesen und die Russen seien gefährlich. Und sie sagen, dass man es jetzt sähe, da Russland am 24. Februar 2022 in die Ukraine einmarschiert ist. Das ist illegal, das stimmt, das sage ich auch. Das ist ein illegaler Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine. Verschwiegen wird jedoch, dass die USA 2014 in der Ukraine einen Putsch gemacht haben, nämlich am 20. Februar 2014. Und dann war acht Jahre Bürgerkrieg. Also der Krieg in der Ukraine hat nicht 2022 angefangen, sondern 2014. Aber die USA beherrschen das Narrativ und das bedeutet, dass auch in der Schweiz sehr viele Menschen glauben, der Krieg in der Ukraine hat im Jahr 2022 angefangen. Und da habe ich wirklich als Historiker sehr viel Arbeit, um immer wieder zu erklären, dass die Menschen nicht die ganze Geschichte kennen. Zum Beispiel sagen die die Amerikaner, dass die Kubakrise begonnen hätte, weil die Sowjetunion 1962 auf Kuba Atomraketen stationiert hat. Und dann sage ich: Nein, stimmt nicht! Sondern 1961 hat die CIA die Schweinebucht-Invasion gemacht und hat versucht, Fidel Castro zu stürzen. Da hat der Konflikt wirklich angefangen und die Sowjetunion hat darauf reagiert und Atomraketen stationiert. Und fast immer, wenn die großen Mächte, also die USA, Russland, China, aber auch Deutschland, direkt in eine kriegerische Auseinandersetzung kommen, und das ist in der Ukraine im Moment der Fall, sind die Amerikaner und die Russen beteiligt, und das sind zwei Atommächte, zwei Supermächte. Dann sage ich immer, wir sollten aufpassen, wir sollten deeskalieren, wir sollten keine Waffen mehr in die Ukraine liefern, sondern wir sollten auf Friedensverhandlungen drängen. In der Schweiz gibt es jetzt eine Friedenskonferenz, aber das ist absolut absurd. Die Russen sind nicht einmal eingeladen.
Regina Castelberg:
Das klingt äußerst absurd. Ich habe ungarische Wurzeln und beobachte daher Ungarn ein bisschen. Wenn Orbán jetzt sagt, wir nehmen keine Partei, wir wollen Friedensgespräche, wird er gleich als Diktator bezeichnet. Warum wird da so aggressiv reagiert, wenn jemand für Frieden einsteht?
Daniele Ganser:
Das war auch beim Papst so. Der Papst hat gesagt, man sollte Friedensverhandlungen führen. Auch Sahra Wagenknecht in Deutschland hat sich dafür ausgesprochen, sowie Viktor Orbán. Es sind einige. Und dann werden diese Menschen angegriffen, die sich gegen das Töten aussprechen. Und Ich möchte hier alle ermutigen, weiterhin für Friedensverhandlungen einzustehen. Und man muss leider auch sagen, dass die Schweiz hier völlig falsch liegt, eine Friedenskonferenz zu machen und nicht alle Konfliktparteien einladen zu wollen. Das ist wie wenn eine Ehe geschieden wird und der Mann und die Frau im Streit sind und dann sagt der Richter, okay, wir machen jetzt eine Konferenz für Familienfrieden, aber wir laden nur den Mann ein. Die Frau laden wir nicht ein. Ich meine, das ist absolut absurd. Ich verstehe nicht, warum die Schweiz das tut.
Regina Castelberg:
Das ist auch ungerecht. Wenn wir zurückgehen zum Bild der Schulklasse. Ein Mobber, ein Bully braucht immer Mitläufer, sonst funktioniert die ganze Unternehmung nicht. Wer sind die Mitläufer der USA?
Daniele Ganser:
Das sind alle NATO-Staaten. Die NATO hat 32 Mitgliedstaaten und die Briten machen eigentlich immer mit. Als die Amerikaner Afghanistan bombardiert haben, waren die Briten dabei. Als die Amerikaner Libyen bombardiert haben, haben die Franzosen mitgemacht. Als die Amerikaner Serbien bombardiert haben, haben die Deutschen mitgemacht. Als die Amerikaner Irak angegriffen haben, haben die Briten wieder mitgemacht. Sogar Norwegen hat in Libyen mitbombardiert. Kurz: es sind immer diese 32 NATO-Staaten, die mitmachen.
Regina Castelberg:
Sie haben in Ihrem Vortrag zweimal den Ausdruck betreutes Denken erwähnt. Damit meinen Sie, dass die Leute fast blind der Regierungspropaganda glauben. Einerseits sagen Sie, dass man die Menschen für die Konflikte nicht verantwortlich machen könne, auf der anderen Seite sprechen Sie von betreutem Denken. Wie könnten die Menschen aus diesem betreuten Denken ausbrechen?
Daniele Ganser:
Es geht, denn ich bin auch ausgebrochen. Als Student habe ich wirklich gedacht, die Neue Zürcher Zeitung ist die beste Zeitung der Welt. Ich habe auch gedacht, dass sie immer einen objektiven Blick auf alle Konflikte hat. Später habe ich den Vietnamkrieg genauer untersucht und wie die NZZ darüber berichtet hat. Fazit: die NZZ hat eindeutig immer die amerikanische Angriffsposition vertreten. Und beim Irakkrieg habe ich es nochmal analysiert. Und wenn man konkrete Beispiele analysiert, auch jetzt den Ukraine-Krieg, wird man plötzlich merken, dass die NZZ einfach immer auf der Pentagon-Linie fährt. Es wird weder neutral, noch differenziert berichtet. Das ist eine schmerzliche Erkenntnis. Ich rate deshalb den Menschen, dass sie den Mediennavigator runterladen. Und dass sie dann vergleichen, wie ein Spiegel berichtet, oder der Antispiegel, wie der ORF, die Nachdenkseiten, Apolut oder die Weltwoche darüber berichten. Und zwar zu einem spezifischen Thema. Es ist sehr wichtig, verschiedene Stimmen zu hören.
Regina Castelberg:
Mir ist heute beim Vortrag aufgefallen, dass Sie die Leute mit sehr viel Humor und sehr viel Lachen trotz des schwerwiegenden Themas begegnen. Das ist sehr beeindruckend. Aber könnte man Ihnen auch vorwerfen. Warum ist es für Sie wichtig, dass man auch über Geschichte und Politik lachen kann?
Daniele Ganser:
Der Humor ist im Leben von allen Menschen ganz zentral. Über uns selbst lachen zu können, entkrampft uns. Wenn wir nicht mehr lachen können, verkrampfen wir uns und der Energiefluss ist gestört. Das wissen wir aus der Forschung. Humor hilft, dass wir wieder in einen guten Energiefluss kommen. Und weil ich in meinen Vorträgen sehr schwierige Themen anspreche, verschiedene Lügen, Terroranschläge, verschiedene Kriege mit Tausenden von Toten, besteht die Gefahr, dass wir uns schon beim Zuhören verkrampfen. Wir bekommen ein zu negatives Bild von der Welt und von den Menschen. Und das möchte ich nicht, weil ich finde, die Welt ist ein wunderbarer Ort und ich finde auch, die Menschen sind wunderbare Wesen. Statt Kriege zu führen und zu töten können wir sagen: lass uns darüber sprechen, vielleicht können wir es anders machen. Ich möchte, dass die Leute nach dem Vortrag mit einem eigenen Gefühl nach Hause gehen, zwar sowohl die Dramatik sehen, die Kriegslügen und die Verbrechen, aber andererseits auch die Freude am Leben nicht verlieren. Das Leben insgesamt ist wunderbar und es gibt viele Dinge, für die wir sehr dankbar sein sollen und können.
Regina Castelberg:
Das ist wunderbares Schlusswort. Dankeschön Herr Ganser.
Das gesamte, ungekürzte Interview können Sie hier im Originalvideo sehen.