Der Wahrheit verpflichtet
21. Juli 2023 - Fabian Ramseyer

Digital Services Act – Totalzensur?

Fabian Ramseyer
Die Gefahr einer Totalzensur in Europa rückt näher. Mit dem Digital Services Act könnte jede unliebsame Meinungsäußerung blockiert werden.
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News vom 21. Juli 2023

Die Gefahr einer Totalzensur in Europa rückt immer näher. Wie die Schweiz damit umgehen wird, ist noch unklar. Die Rede ist vom Digital Service Act, kurz DSA, der im Oktober 2022 in Kraft trat. Das Gesetz gilt für alle Online-Plattformen, Vermittler- und Hosting-Dienste, die Informationen speichern und diese anderen zur Verfügung stellen. Je größer eine Online-Plattform ist, desto weitreichender sind die Pflichten. Um die Reichweite festzustellen, hatten große Dienste bis Februar 2023 Zeit, ihre aktiven Nutzer-Zahlen zu veröffentlichen. Am 25. April wurde die Liste der sehr großen Dienste veröffentlicht, das sind die, welche über 45 Millionen aktive Nutzer haben. Diese haben nun vier Monate Zeit, also bis am 25. August 2023, um das Gesetz und die damit verbundene Risikobeurteilung umzusetzen. HOCH2 berichtete schon am Rande über DSA in den Beiträgen «Social-Media-Sperre» vom 14. Juli und «Biden: Urteil gegen Zensur» vom 17. Juli 2023.
Doch diese hochbrisante Regulation lohnt es sich genauer anzuschauen, denn die Schlupflöcher für die freie Meinungsäußerung werden nach und nach gestopft. So werden laufend weitere Anpassung am DSA gemacht. Im Jahr 2023 sind bereits vier entsprechende Änderungsanträge am Laufen.

Dabei sei nicht gesagt, dass es eine wirklich freie Meinungsäußerung zuvor gegeben hätte, aber dieser nächste Schritt wird es den Regierenden potenziell ermöglichen, jede «abtrünnige» Meinungsäußerung zu blockieren, zu löschen und zu ahnden. Die Hauptverantwortliche Margrethe Vestager sagt in einem Interview:

«Ich denke, dass es mittlerweile in allen europäischen Ländern Gesetze gibt, die besagen, dass Hassrede verboten ist, aber es gibt keinen wirklichen Mechanismus, um das umzusetzen. Das ist wahr, also verlangt das Gesetz über digitale Dienste jetzt, dass jede Plattform über ein System verfügt, mit dem umzugehen, was illegal ist und es zu entfernen. Aber natürlich könnten sie sich irren, es könnte eine Grauzone geben. Wenn Ihre Inhalte also entfernt werden, haben sie das Recht sich zu beschweren und zu sagen: ‘Ja, Sie finden das vielleicht verletzend, aber es ist nicht illegal, also müssen Sie es wieder veröffentlichen.’ Und dann haben Sie Dinge, die schädlich sind, aber nicht illegal, aber es ist schädlich, vielleicht Desinformation, und hier haben wir einen Verhaltenskodex. Wenn Sie also eine große Plattform sind, müssen Sie diese nutzen, damit Ihre Dienste weiter funktionieren.»

So beschreibt es das Gesetz folgendermaßen:

«(…) Die Mitgliedstaaten (…) schaffen damit insbesondere Sorgfaltspflichten für Anbieter von Vermittlungsdiensten im Hinblick auf die Art und Weise, wie jene gegen rechtswidrige Inhalte, Online-Desinformation oder andere gesellschaftliche Risiken vorgehen sollten.»

Wie schon bei den Dokumenten zur Hassrede, werden im Gesetz scheinbar Grundrechte, freie Meinungsäußerung, Informationsfreiheit und das Recht auf Freiheit und Pluralismus der Medien hochgehalten. Liest man jedoch weiter, werden diese umgehend durch schwammige Definitionen relativiert. Dafür werden Hassrede, aber auch tatsächliche oder absehbare negative Auswirkungen auf den demokratischen Prozess und die allgemeine Sicherheit genannt. Natürlich darf auch der Begriff Desinformation nicht fehlen:

«Eine vierte Risikokategorie ergibt sich aus (…) [Aktivitäten] mit tatsächlichen oder absehbaren negativen Auswirkungen auf den Schutz der öffentlichen Gesundheit oder von Minderjährigen und schwerwiegenden negativen Folgen für das körperliche und geistige Wohlbefinden einer Person oder in Bezug auf geschlechtsspezifische Gewalt. Solche Risiken können sich auch aus koordinierten Desinformationskampagnen im Zusammenhang mit der öffentlichen Gesundheit oder aus der Gestaltung von Online- Schnittstellen, die verhaltensbezogene Abhängigkeiten der Nutzer stimulieren können, ergeben.»

Den Online-Plattformen, die den Anforderungen des Gesetzes nicht gerecht werden, droht eine Geldstrafe von bis zu 6 Prozent des Jahresumsatzes. Somit wird man kaum großen Widerstand erwarten können. Wird damit vielleicht auch bewusst eine konfuse Angst bei den Anbietern erzeugt, die im Zweifelsfall lieber übererfüllen?
Auf die Frage hin, was sie denjenigen sagt, die um die freie Meinungsäußerung besorgt sind, antwortet Margrethe Vestager:

«Wir verfügen über einige Erfahrungen, da wir über diesen Verhaltenskodex verfügen, der bereits auf allen großen Plattformen angewendet wird. Sie haben sich dafür freiwillig angemeldet. Aber wir haben gesehen, dass das nicht ausreicht, dass es viel zu lange dauert. Es ist nicht ausreichend systematisch, was getan wurde, obwohl sie bei vielen Plattformen Anstrengungen unternommen haben, um es besser zu machen. Ich glaube nicht, dass es in einer Gesellschaft, die immer digitaler wird und in der sich immer mehr Teile unseres Lebens in der digitalen Welt abspielen, legitim ist, wenn die Demokratie nicht stark vertreten ist. Denn Demokratie sollte etwas sein, das jede Minute des Tages präsent ist, egal, ob diese Minute online oder offline verbracht wird.»

Eine Antwort auf die tatsächliche Frage gibt Vestager nicht. Es ist offensichtlich: Das neue Gesetz schafft die potenzielle Grundlage zur Totalzensur, auch wenn die Verantwortlichen die Bevölkerung glauben machen wollen, dass sie nicht vorhaben, diese Macht zu missbrauchen.

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