Der Wahrheit verpflichtet
12. April 2023 - Barbara Hagmann

Folgt bald der Sanierungszwang?

Barbara Hagmann
Mit dem Klimaschutz-Gesetz soll die Schweiz bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden. Dafür will der Bund Fördermittel für den Ersatz fossiler Energieträger lockermachen. Doch wie realistisch ist es mit erneuerbaren Energien genügend Strom zu produzieren?
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News vom 12. April 2023

Am 18. Juni stimmt das Schweizer Stimmvolk übers Klimaschutz-Gesetz ab. Dabei handelt es sich um einen indirekten Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative. Die Befürworter argumentieren, das Alpenland der Schweiz sei besonders stark vom Klimawandel betroffen. Mit dem Klimaschutz-Gesetz soll sich die Schweiz Ziele setzen, um schrittweise klimaneutral zu werden. Damit will man den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau begrenzen.

Dafür werden fossile Energieträger ins Visier genommen. Bundesbern will weg von den vermeintlichen Klimaschändern und greift dafür tief in die Staatskasse:

«Die Schweiz soll bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden. Um dieses Ziel zu erreichen, plant der Bund Maßnahmen: Der Ersatz von Öl-, Gas- und Elektroheizungen mit klimaschonenden Heizungen soll mit zwei Milliarden Franken unterstützt werden. Betriebe in Industrie und Gewerbe, die innovative Technologien zur klimaschonenden Produktion einsetzen, sollen von Fördermitteln in der Höhe von 1,2 Milliarden Franken profitieren.»

Und um die Ja-Parole zu stärken, wird auch gleich noch die Kriegskarte ausgespielt. Denn in der bundesrätlichen Botschaft heißt es, der Ukraine-Krieg habe gezeigt, dass sich die Schweiz von Energieimporten unabhängig machen müsse.

Gegen diese Vorlage hat die SVP das Referendum ergriffen und dem «Stromfresser-Gesetz» den Kampf angesagt. Anlässlich der Delegiertenversammlung im März warnte der ehemalige Präsident der ETH Zürich Lino Guzzella vor einem Trugschluss:

«Mit den geplanten Veränderungen – Wärme und Mobilität elektrisch, Stilllegung der Kernkraftwerke, keine Importe, Photovoltaik als zentrale neue Stromquelle – würden der Schweiz in den Wintermonaten etwa 50 Prozent Strom fehlen. Photovoltaik-Anlagen in den Alpen würden zwar die Situation verbessern. Aber um mit Sonne genug Strom zu produzieren, müssten in den Alpen 3300 Solaranlagen mit einer Fläche von über 300 Quadratkilometer gebaut werden.»

Vera Weber, Präsidentin der Umweltschutzorganisation Fondation Franz Weber, äußerte zudem ihre Bedenken in puncto Naturverschandelung durch den Bau alternativer Energielieferanten:

«Unter dem Vorwand des Klimaschutzes will man unsere Natur opfern. Das, was sich da ankündigt, ist perfide und hinterhältig. Auf dem Altar der Energiewende, unter dem Vorwand der Stromversorgung und des Klimaschutzes, will eine Mehrheit unserer gewählten Volksvertreter unser wertvollstes und am meisten begrenztes Gut opfern: das, was von unserer Natur übriggeblieben ist, das heißt, unsere Biodiversität, unsere Biotope, unsere Wälder und unsere intakten Landschaften. (...)»

Und was sagen Herr und Frau Schweizer dazu? Eine Abstimmung der Onlineplattform Nau im März zeigt deutlich auf, dass die Bevölkerung wohl eher davon absieht, bei den Umrüstungsplänen des Bundes mitzumachen. Laut Befragung lehnten 70 Prozent das Klimaschutzgesetz ab. Eine weitere Abstimmung des Boulevardblatts 20-Minuten zeichnet dasselbe Bild. Die Mehrheit will keine neuen Regeln, um die CO2-Emissionen zu senken.

In den EU-Ländern läuft ein ähnliches Bestreben. Das EU-Parlament hat sich für strengere Anforderungen an die Energieeffizienz von Gebäuden ausgesprochen. Konkret sollen Wohngebäude bis 2030 mindestens die Energieeffizienzklasse «E» und bis 2033 «D» erreichen. Wie genau die Klassifizierung aussehen soll, ist allerdings den Mitgliedsstaaten überlassen.

Kommt jetzt also der Sanierungszwang? Jutta Paulus, Europaabgeordnete der Grünen, bestreitet dies vehement:

«Niemand wird gezwungen werden, aus seinem Haus auszuziehen oder es zu verkaufen, nur weil man nicht renovieren kann.»

Gemäß Richtlinien sollen die Mitgliedsstaaten dafür sorgen, einkommensschwache Haushalte zu unterstützen. Zudem habe die EU 150 Milliarden Euro für entsprechende Förderprogramme zur Verfügung gestellt. Aber auch die Länder selbst sollen finanzielle Mittel lockermachen und beispielsweise sogenannte «Pay-as-you-save-Programme» aufsetzen, wie Zeit Online schreibt. Demnach müssen die Menschen nur so viel bezahlen, wie durch die Sanierung eingespart wird. So der Plan.

Keine praktikable Lösung, findet CDU-Europaabgeordneter Dennis Radtke. Im Interview mit dem Deutschlandfunk fordert er eine realistischere Betrachtungsweise:

«(...) das sind schon ganz gewaltige Summen, die da den Bürgerinnen und Bürgern aufgedrückt werden sollen. (...) Und die Frage Bezahlbarkeit von Wohnen und Bauen ist speziell mit Blick auf Deutschland in den letzten Monaten häufig politisch diskutiert worden, aber diese Entscheidung trägt nun wirklich nicht dazu bei, dass Bauen und Wohnen nicht billiger, sondern perspektivisch noch viel, viel teurer wird. (...) Aber es ist ein Aberglaube zu meinen, die Europäische Kommission bringt das auf den Weg und wird am Ende für den Häuslebauer oder den Häuslebesitzer diese Kosten eins zu eins übernehmen. Das wird nicht der Fall sein. (...)»

Die Sorgen, dass teure Sanierungsarbeiten auf die Bevölkerung zukommen, sind groß. Einmal mehr gibt die Politik die Richtung vor und schwingt dabei die Beschwichtigungskeule. Denn es ist kein Geheimnis, dass nachhaltige Strom- und Wärmelieferanten kostspielig sind. Nur wenige Hausbesitzer können sich entsprechende Anlagen leisten. Und ob die in Aussicht gestellten staatlichen Fördergelder überhaupt ausreichen, ist ebenfalls fraglich. In der Schweiz beispielsweise werden bereits heute teilweise Subventionen für erneuerbare Energiesysteme gesprochen; den Mammutanteil müssen die Hausbesitzer jedoch selbst berappen.

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