Der Wahrheit verpflichtet
27. März 2023 - Stephan Seiler

Läden bespitzeln Kunden

Stephan Seiler
Die größten Detailhändler der Schweiz bespitzeln ihre Kunden auf Schritt und Tritt.
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News vom 27. März 2023

Was die Schweizerische Bundesbahn SBB in Zukunft plant, nämlich die totale Überwachung von Reisenden, wird von Detailhändlern schon jetzt praktiziert. Dies berichtet die Konsumentenzeitschrift K-Tipp in einem ausführlichen Beitrag in der fünften Ausgabe in diesem Jahr. Die Firma «Xovi» warb an der größten Detailhandels-Messe Europas, der «Euroshop 2023» in Düsseldorf, für ihre Überwachungsgeräte. Der Kamerahersteller aus dem bernischen Zollikofen zeigte, wie Läden ihre Kunden verfolgen können. Nebst der Größe und des Geschlechts, erkennen die Kameras auch die Gesichter der Kunden. Und auch in welche Richtung jemand gerade schaut, kann mit den Multi-Sensoren der Kameras ermittelt werden. Ein Ausschnitt des Werbefilms von «Xovi» gibt Einblick.

Solche Kameras sind bereits an vielen Bahnhöfen und Flughäfen im Einsatz. Doch auch im Detailhandel sind sie gemäß K-Tipp mittlerweile an vielen Orten anzutreffen: Etwa im Aldi, im Coop, im Lidl oder in der Migros. Der Xovi-Verkäufer an der Messe sei angesichts der Fähigkeiten der Kameras ins Schwärmen gekommen. Laut seinen Aussagen können sie registrieren, wie sich die Kunden bewegen, welche Rabatte funktionieren und wie viele Personen tatsächlich etwas kaufen. Es sei auch möglich, Bewegungs- und Verhaltensdaten nachträglich mit einem Käufer zu verknüpfen. Man müsse dabei nur den Zeitstempel der Kameraaufnahme mit jenem der Kasse abgleichen. Benutze der Käufer eine Kundenkarte, wie Cumulus bei der Migros oder die Supercard bei Coop, ließen sich die Aufnahmen auch einem Namen zuordnen. Damit verwenden Großhändler jetzt schon Kamerasysteme mit Personenidentifizierung.

Auch verdeckte Kameras, die man nicht sehen könne, seien in vielen Läden im Einsatz. Sie würden hinter Werbebildschirmen versteckt. Eine nicht sichtbare kleine Kamera am oberen Bildschirmrand erkennt, ob ein Mann oder eine Frau, eine jüngere oder ältere Person davorsteht, und präsentiert dann die für die «Zielperson» abgestimmte Werbung.

Die Migros zum Beispiel, setze solche Bildschirme der Firma «Active Display» aus Herisau im Kanton Appenzell bereits in mehreren Einkaufzentren ein. Vergleichbare Systeme fänden sich auch in den Filialen von Spar, Top CC, den Top-Pharm Apotheken, der Drogeriekette Müller, dem Buchhändler Orell Füssli und der Schuh-Ladenkette Dosenbach. Die betroffenen Läden hätten versichert, dass sie keine Videoaufnahmen speichern würden. Lediglich anonymisierte Daten würden erhoben, heißt es. Auch Kamerasysteme der kanadischen Firma «Avigilon» seien in der Schweiz im Einsatz. So zum Beispiel in den Filialen der Migros in Zürich und Genf oder auch bei Alnatura. Der Hersteller wirbt auf seiner Webseite, dass eine bestimmte Person innerhalb von Sekunden erkannt werden könne. Die Filmaufnahmen ließen sich nach Merkmalen wie Haarfarbe, Größe, Geschlecht und Kleidung unterscheiden. Manche Modelle würden gar über eine biometrische Gesichtserkennung verfügen. Auf Anfrage des K-Tipp versuchte sich die Migros mit dem Argument herauszureden, dass Videoaufnahmen nur zur Verhinderung von Straftaten eingesetzt würden. Die «intelligente Suche» nutze man nur bei außergewöhnlichen Vorfällen, wie etwa bei einem Diebstahl oder einem Gewaltdelikt. Aldi, Coop und Denner behaupteten, sie hätten das Überwachungssystem von «Xovi» nur während der Corona-Pandemie benutzt. Im Gegensatz zu dieser Behauptung, seien die Kameras in vielen Einkaufsläden hingegen noch immer anzutreffen.

In der dritten Ausgabe von Mitte Februar berichtete der Ktipp vom Plan der SBB, ab September dieses Jahres die Reisenden in 57 Bahnhöfen auf Schritt und Tritt überwachen zu wollen, um damit das Einkaufsverhalten der Kunden auszuwerten. Als Reaktion auf diesen Beitrag behauptete die SBB in einer Medienmitteilung, es handle sich lediglich um ein neues Messsystem, damit Passagiere sicherer und besser durch den Bahnhof geleitet werden können. Alter, Geschlecht und Grösse der Reisenden sollen nun nicht mehr erfasst werden, so die SBB nun plötzlich.

In Bundesbern haben die Überwachungspläne für heiße Köpfe gesorgt. Verschiedene Parlamentarier wollten von Verkehrsminister Albert Rösti wissen, ob der Bund als Besitzer der SBB die umstrittenen Pläne stoppt. Doch Rösti blieb bei seiner Antwort vage:

«Der Bundesrat erwartet von der SBB, dass sie den Datenschutz als zentral betrachten und sich der Risiken bewusst sind.»

Von einem Stopp oder einer konkreten Auflage an die SBB war keine Rede. Vermutlich kommt es der Landesführung in Zukunft gar nicht ungelegen, wenn ihre Bürger flächendeckend überwacht werden.

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