Der Schweizer Nachrichtendienst des Bundes, kurz NDB, kündigte am letzten Donnerstag gegenüber der Nachrichtenagentur SDA an, eine eigene Abteilung mit virtuellen Agentinnen und Agenten schaffen zu wollen. Genauer sollen «künstliche Personen» mit «Tarnidentitäten» in sozialen Netzwerken Informationen beschaffen können. Wie es heißt, habe der NDB in mehreren Fällen von der Hilfe virtueller Agenten von ausländischen Partnerdiensten profitiert.
Um zukünftig nicht mehr vom Ausland abhängig zu sein, werde nun ein eigenes Projekt mit Cyber-Agenten umgesetzt, das dem «Sammeln von nachrichtendienstlich relevanten Daten» in sozialen Netzwerken dienen soll. Ins Visier genommen würden dabei Terrorismus und Gewaltextremismus. Ob der im Sicherheitsbericht 2022 genannte «monothematische und gewalttätige Corona-Extremismus» ebenfalls unter diesen Oberbegriff fällt, ist nicht zu erfahren. Überhaupt gibt es fast keine Informationen über dieses Projekt, wie es für einen Geheimdienst auch zu erwarten ist. So macht der NDB zum Beispiel keine Angaben darüber, wie viele solcher virtuellen Maulwürfe er einsetzen will und welche Fähigkeiten diese haben sollen. Auch zum Zeitplan gibt es keine Angaben. Rechtlich seien virtuelle Geheimagenten echten Spionen gleichgestellt. So müsse nach geltendem Recht die Verteidigungsministerin Viola Amherd jede falsche Identität einzeln bewilligen. Zudem muss der Einsatz unter Aufsicht der Kontrollorgane geschehen: Namentlich durch die unabhängige Aufsichtsbehörde über die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten, kurz AB-ND,und die parlamentarische Geschäftsprüfungskontrolle. Dies mag zunächst harmlos klingen.
Doch scheint sich der Geheimdienst nur ungern an gesetzliche Regeln zu halten, wie er in jüngster Zeit schon einmal bewiesen hat. Von 2015 bis 2020 beschaffte sich das «Ressort Cyber» des Nachrichtendienstes Informationen, für die eine Genehmigung des Bundesverwaltungsgerichts nötig gewesen wäre. Bei diesen Informationen ging es um die Abwehr von möglichen Cyberangriffen. Eine Untersuchung durch den ehemaligen Bundesrichter Niklaus Oberholzer legte offen, dass der Geheimdienst unrechtmäßig Daten angezapft hatte, die dem Fernmeldegesetz unterstehen. So wurde etwa der Netzwerkverkehr von Servern ohne gerichtliche Genehmigung aufgezeichnet. Im Untersuchungsbericht heißt es:
«Der NDB verschaffte sich auch bei ausländischen Partnerdiensten hohes Ansehen, indem er ihnen Informationen zur Verfügung stellen konnte, welche ihrerseits für deren Erkennung und Abwehr von Cyberangriffen gegen ausländische Interessen von großer Bedeutung waren.»
Mit illegaler Datenbeschaffung konnte der NDB also nicht nur sehr erfolgreich arbeiten, sondern sich damit auch bei ausländischen Diensten einen guten Ruf erschleichen. Rechtliche Konsequenzen hat die illegale Bespitzelung für den NDB allerdings keine. Der Nachrichtendienst habe sich nicht schuldhaft verhalten, sondern nur die Rechtslage verkannt und die fernmelderechtliche Dimension unterschätzt, attestiert Oberholzer in seinem Bericht. Mit einer solchen Argumentation könnte sich auch jeder andere Straftäter herausreden. Wie die neue Zürcher Zeitung NZZ schreibt, werde der Geheimdienst nach dem Versagen der Führung nun reorganisiert. Eine Passage im Untersuchungsbericht lässt besonders aufhorchen und zeigt, mit welcher Selbstgefälligkeit beim NDB gearbeitet wird:
«Auf der einen Seite stand ein Chef dem Ressort Cyber NDB vor, der von seinen Vorstellungen und Fähigkeiten sowie von seiner Aufgabe überzeugt, ausgesprochen initiativ und erst noch erfolgreich war, für rechtliche Vorgaben und institutionalisierte Prozessabläufe innerhalb eines staatlichen Dienstes aber wenig Verständnis zeigte.»
Ein Cyber-Geheimdienst, dem rechtliche Vorgaben und Prozessabläufe offenbar egal sind, soll nun mit virtuellen Agenten in sozialen Netzwerken herumschnüffeln dürfen: Kann das gut gehen?