Der Wahrheit verpflichtet
26. Juni 2023 - Barbara Hagmann

Werden bald Roboter in Richterroben gesteckt?

Barbara Hagmann
KI-Justiz ist auf dem Vormarsch. Doch können Maschinen die hohen Anforderungen der Rechenschaftspflicht in der Justiz erfüllen?
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News vom 26. Juni 2023

Könnten Roboter in Zukunft Gerichtsurteile fällen? Laut dem britischen «Master of the Rolls» Sir Geoffrey Vos, einem der ranghöchsten Juristen des Landes, sei dies durchaus denkbar. Roboterrichter, die mit künstlicher Intelligenz arbeiten, könnten für kleinere Delikte eingesetzt werden.

Sir Geoffrey Vos glaubt, dass KI-Programme und Maschinen der perfekte Weg seien, um Gerichtsentscheide zu unterstützen. Dennoch räumt er ein, dass es bei schweren Straftaten weiterhin den Menschen benötige, um ein angemessenes Urteil zu fällen. Obgleich zahlreiche Branchen den Druck auf Arbeitskräfte spüren, der von der Künstlichen Intelligenz ausgeht, ist Sir Geoffrey überzeugt, dass kein Weg an der neuen Technologie im Gerichtsaal vorbeiführe:

«Ich habe keinen Zweifel daran, dass Anwälte nicht in der Lage sein werden, sich den Anwendungen der generativen KI zu entziehen.»

Die Mandanten werden darauf bestehen, dass alle verfügbaren Werkzeuge – zumindest für die Erbringung von Rechtsdienstleistungen – in Betracht gezogen werden, betont der britische Richter. Der «Master of the Rolls» scheint also begeistert von der Technologie zu sein, mit einer Ausnahme: Und zwar in Fällen, bei denen es um das Wohlergehen von Kindern oder um schwere Straftaten geht. Er macht klar, dass er daran zweifle, dass die Öffentlichkeit in diesen Fällen Roboterurteile akzeptieren würde. Bei weniger persönlichen Streitigkeiten, wie etwa bei Handels- und Entschädigungsstreitigkeiten, könnten die Parteien jedoch rasch Vertrauen in maschinelle Entscheidungen gewinnen. So die Analyse von Sir Geoffrey.

Wie Daily Mail berichtet, wird derzeit in England und Wales ein digitales Justizsystem eingeführt, das es Bürgern und Unternehmen ermöglicht, sich an ein Online-Portal für Vorverfahren oder Streitbeilegungsforen zu wenden. Dieses digitale System wird letztendlich am Ende dessen gipfeln, was als Trichter im Online-Gerichtsverfahren bezeichnet wird, das bereits für Zivil-, Familien- und gerichtliche Streitigkeiten entwickelt wird.

Medienberichten zufolge ist in den deutschen Gerichtssälen die Künstliche Intelligenz bereits eingezogen. Richter in Niedersachsen sollen Unterstützung von Maschinen erhalten. Wie das Justizministerium in Hannover mitteilte, sind Massenverfahren derzeit eine große Belastung für die Gerichte. Ein neues Assistenzprogramm soll daher helfen, vergleichbare Verfahren effizienter zu bearbeiten. Tester sind zunächst die Landgerichte Hildesheim und Osnabrück. Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann spricht von einem wichtigen Schritt, schränkt jedoch ein:

«Am Ende muss es immer der Mensch sein, der die Entscheidungen fällt.»

China ist Vorreiter in Sachen Roboterrichtern. Mehr als 100 Roboter sind dort in den Gerichten des Landes im Einsatz. Das Land treibt den Übergang zu einer KI-Justiz aktiv voran. Die Maschinen können Fallgeschichten und frühere Urteile abrufen und so die Arbeitsbelastung der Beamten verringern. Einige der Roboter sind sogar auf bestimmte Fachgebiete spezialisiert, beispielsweise auf Handelsrecht oder arbeitsrechtliche Streitigkeiten.

Auch wenn Roboter noch nicht in Richterroben gesteckt werden, wird KI also auch in den Bereich der Justiz vordringen. Paul Nemitz, Chefberater der EU-Kommission, begrüßt diese Entwicklung, wie der Deutschlandfunk Ende Dezember berichtete. Neben von KI zusammengefügten digitalen Akten, könnten Maschinen auch als Assistenz für die Überprüfung von Urteilen herangezogen werden oder gar Vorschläge für Entscheidungen machen. Ayisha Piotti, Direktorin für AI Policy am Zentrum für Recht und Wirtschaft der ETH Zürich, warnt vor der KI-Justiz:

«Heutige Algorithmen der KI sind häufig nicht transparent genug, um die hohen Anforderungen der Rechenschaftspflicht in der Justiz zu erfüllen.»

Zudem befürchten Kritiker, dass KI-Systeme Voreingenommenheit und Diskriminierung in der Rechtsprechung verstärken könnten. Denn die Zuverlässigkeit von KI-Systemen hänge von der Qualität der eingegebenen Daten ab. Wenn KI-Unterstützungssysteme auf der Grundlage von voreingenommenen Daten trainiert werden, könne dies zu ungerechten Gerichtsurteilen führen.

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