Das gesamte Interview als Video finden Sie hier. Sie finden unter diesem Link ebenso alle erwähnten Quellen unter dem Video.
Die schriftliche Bearbeitung des Gesprächs erfolgte durch Danièle Gallarotti als Spende für HOCH2.
Philipp Gut
Ich begrüße heute bei mir den ehemaligen Bundesrat Ueli Maurer. Für alle Zuschauerinnen und Zuschauer aus Österreich und Deutschland: Zum besseren Verständnis: Der Bundesrat ist in der Schweiz die Landesregierung. Vermissen Sie manchmal dieses Amt? Sie sind jetzt ein Jahr nicht mehr dabei.
Ueli Maurer
Es gibt so Phasen, in denen ich etwas von Bern höre und denke, das müsste man jetzt auf eine andere Art und Weise beeinflussen, und dann würde es mich reizen, noch dabei zu sein, aber ich lebe auch gut ohne, ich kann mich gut davon lösen.
Philipp Gut
Können Sie ein Beispiel nennen, wo Sie denken, da geht es in die falsche Richtung, da hätte ich gerne noch Einfluss genommen?
Ueli Maurer
Ja sicher. Ich glaube die ganze Frage der Neutralität, die hat sich zum Nachteil der Schweiz verändert, auch zum Nachteil von vielen anderen Ländern. Das wäre etwas, wo wir standfester und gradliniger sein sollten und es gibt noch andere kleine Details, die mich manchmal ärgern, aber das gehört wahrscheinlich dazu.
Philipp Gut
Ein Vorteil ist jetzt sicher, dass sie total frei reden können.
Ueli Maurer
Ja, es gibt dann schon noch Reaktionen, aber es ist natürlich so, dass ich nicht mehr auf eine Meinung Rücksicht nehmen muss, die gebildet wurde und die ich nicht zu 100 % teile.
Philipp Gut
Eine kurze Erklärung für die Zuschauer im Ausland, aus Deutschland und Österreich: wir haben in der Schweiz eine sogenannte Konkordanz-Regierung. Das heisst, dass die vier größten Parteien alle mit eingebunden sind, es gibt keine Regierungsopposition. Alle Parteien tragen zusammen Regierungsbeschlüsse, auch wenn einzelne Politiker eine andere Haltung dazu haben. Hat Ihnen das manchmal Mühe gemacht?
Ueli Maurer
Ja, das macht natürlich schon Mühe. Ich denke an die ganze EU-Frage. Ich bin ein klarer Gegner, dass die Schweiz der EU beitritt oder ihr noch näher kommt. Im Bundesrat gibt es zur Zeit auch noch keine klare Meinung dazu. In der Frage Corona habe ich eine andere Haltung vertreten als der Rest der Regierung. Ich war da nicht so ängstlich. Aber natürlich musste ich das mittragen, weil es unser System so erfordert, und das System funktioniert wahrscheinlich auch nur so.
Philipp Gut
Bleiben wir beim Stichwort Corona. Sie haben sich auch mal kritisch zum Impfen geäußert, was in der Regierung eine grosse Ausnahme war. Heute zeigt sich, dass Sie mit Ihrer Kritik vollkommen recht hatten. Wie beurteilen Sie im Nachhinein diese ganze Maßnahmen-Politik der Schweiz?
Ueli Maurer
Die Schweiz war im internationalen Vergleich noch relativ moderat. Aber ich habe es nie begriffen, mit welcher Hysterie sich die ganze Welt auf etwas ausgerichtet hat. Und alles, was nicht auf diesem Kurs war, wurde verdammt. Man wurde sogar aussortiert und das hat mich erschreckt. Eine Massenhypnose fand statt, obwohl es von Anfang an klar war, dass es gar nicht so schlimm sein konnte, wie man es dargestellt hat. Dass man in den ersten Wochen vorsichtig war, bis man das erkannt hat, habe ich verstanden und war auch mit den Maßnahmen einverstanden, aber nachher hat man viel zu viele getroffen. Das hat uns sehr viel Geld gekostet und wir haben so viele Leute auch psychisch ins Elend getrieben. Das alles kommt jetzt langsam ans Tageslicht. Wir, die Regierung, haben vorgegaukelt, wir hätten Impfstoffe, die absolut nützlich seien, und jetzt stellen wir fest: Das war nur heiße Luft; mehr heiße Luft als Inhalte.
Philipp Gut
Das ist interessant. Es war also doch eine Impflüge! Die Hersteller selbst haben jetzt zugegeben, dass der Impfstoff nichts nützt, weder vor Ansteckung, noch vor einer Verbreitung schützt. Auch die europäische Arzneimittelbehörde hat dies kürzlich in einem Brief gegenüber Europaparlamentariern zugegeben und gesagt, es wäre gar ein Missverständnis und nicht so gedacht gewesen. Wie war das möglich, dass die ganze Weltpolitik hier draufspringt und gleiche unwahre Fakten erzählt?
Ueli Maurer
Ich kann es mir auch nicht erklären. Auf der einen Seite sind Leute ängstlich, wenn sie in der Verantwortung stehen, sie wollen schützen, aber sie übertreiben dann meist. Das ist in der Politik in allen Fällen so. Wenn ein Thema aktuell ist, übertreibt man und geht zu weit. Dann denke ich auch, dass die Pharmaindustrie hinter der ganzen Pandemie stand, die haben damit Geld verdient, ihre Kassen haben geklingelt. In der Bevölkerung entstand eine unheilige Allianz von Angst, von der die Pharma natürlich profitiert hat. Die Medien, und das ist das Bedenkliche, waren völlig unkritisch und haben alles regierungskonform begleitet. Ich war Impflügner, ich war Verschwörer, ich war alles Mögliche, einfach nur, weil ich kritische Fragen gestellt habe.
Philipp Gut
Das hat schon gereicht, dass man Sie aussortiert hat. Bleiben wir aber beim Medienthema. Sie haben kürzlich gesagt, dass Sie Schweizer Radio und Fernsehen selten konsumieren, denn da müssten Sie noch Schmerzensgeld bekommen, statt Gebühren bezahlen. Dieser Satz ist wahrlich viral gegangen. Was schmerzt Sie besonders, wenn Sie das Schweizer Fernsehen einschalten?
Ueli Maurer
Ich meine, da gibt es zwei Dinge: das eine ist die Themenwahl, welche Themen werden gesetzt und behandelt, und welche Themen werden erst gar nicht angesprochen. Damit gibt man ganz klar eine politische Richtung und Linie vor.
Das andere sind die Beiträge: Inhaltlich können sie zum Teil noch korrekt sein, sie wurden sorgfältig erarbeitet, aber meist wird dann noch etwas hinzugefügt. Mit dem Klima wird täglich der Weltuntergang zelebriert. Bei jedem anderen Thema wird noch irgendwo eine Verbindung zur Klimakatastrophe hergestellt. Es sind diese zwei Dinge, die jeder nüchternen, pragmatischen Beurteilung fern sind. Das müssen wir korrigieren. Was sind die wirklich wichtigen Themen heute und dann müssen wir auf Fakten basierte Informationen statt auf Beeinflussung setzen.
Philipp Gut
Wie stellen Sie sich zu dieser sogenannten Halbierungsinitiative? Es geht um die Gebühren von Radio und Fernsehen, die faktisch Steuern sind, denn jeder muss sie bezahlen, ob er das Schweizer Fernsehen schaut oder nicht. Diese Initiative möchte die Gebühren halbieren.
Ueli Maurer
Sie ist absolut notwendig. Ich würde sie ohnehin abschaffen. Wer schaut, bezahlt, wer nicht schaut, bezahlt nicht und auch dass Firmen bezahlen müssen, ist ein Unsinn und meiner Meinung nach mit nichts zu rechtfertigen. Aber man hat das einmal so beschlossen, jetzt müssen wir schauen, dass wir mit dieser Halbierungsinitiative den Schaden etwas begrenzen können.
Philipp Gut
Auch ein Medienthema ist die Berset-Ringier-Affäre, die noch mit Ihrer frühen Tätigkeit als Regierungsmitglied zu tun hat. Kurze Erklärung für unsere Zuschauer: Es soll eine Art Standleitung vom Gesundheitsdepartement, dem Gesundheitsminister Alain Berset vorstand, zum Ringier-Verlag existiert haben. Boulevardblätter wie zum Beispiel der «Blick» waren ständig informiert darüber, was der Bundesrat als nächsten Akt listen würde. Wie hat man das in der Regierung wahrgenommen, wie war so etwas möglich? Es gab massivste Indiskretionen.
Ueli Maurer
Ja, die Vermutung, dass eine direkte Verbindung vom Departement Gesundheit zum Ringier Medienhaus bestand, wurde offen ausgesprochen. Man konnte sie jedoch nie bestätigen. Herr Berset hat es kategorisch verneint, dass hier Beziehungen bestanden. Nun hat man es doch mit dieser Aufarbeitung einigermaßen deutlich gezeigt, dass es so funktioniert hat. Das ist ja das eine, aber der Hintergrund der Geschichte ist leider eine Art Korruption. Man beliefert die Medien mit Informationen, um nicht schlecht dargestellt zu werden. Dies ist ebenso verwerflich wie eine Geldzahlung. Korruption ist Korruption, ob Daten oder Gelder fließen.
Philipp Gut
Geld ist auch insofern geflossen, als die Medien zum Teil subventioniert wurden und immer noch werden, sie haben sogenannte Corona-Hilfen bekommen, andere Firmen nicht. Man hat den Medien das Geld sozusagen nachgeworfen, das Bundesamt für Gesundheit hat auch Kampagnen in den Medien finanziert. Also, das ist vielleicht auch nicht ganz ohne, dass da auch wirtschaftlich sogar eine enge Verflechtung stattgefunden hat.
Ueli Maurer
Ja, in diesem Fall würde ich auch glauben, dass das stattgefunden hat, aber wir hatten natürlich schon immer mehr eine Hofberichterstattung. Die Medien übernehmen bewusst die Berichterstattung aus dem Bundesrat, denn wenn sie kritische Fragen stellen würden, würden sie sich ein Stück weit mit der vermeintlichen Opposition solidarisieren. Das sind die Rechtsparteien, da ist vor allem die SVP, und mit der SVP will man bei den Medien nichts am Hut haben. Deshalb macht man Hofberichterstattung und wird dann auch noch dafür bezahlt.
Philipp Gut
Wie muss man sich so eine Bundesrats-Sitzung in der Schweiz vorstellen? Das ist ein Gremium von sieben Bundesräten. Tagt ihr in einem abgeschlossenen Kämmerlein? Man bekommt ja nicht genau zu wissen, was dort diskutiert wird. Wird da wahrhaftig um Entscheide gerungen oder wird im Vorfeld die Entscheidung bereits hinter den Kulissen getroffen?
Ueli Maurer
Sehr viele Entscheide werden natürlich durch die Verwaltung vorbereitet, es wird geprüft, ob der Entscheid dem Gesetz und der Verfassung entspricht, ob er dem Budget finanzieller Art und den anderen Gesetzen entspricht. Die Diskussion findet bei relativ wenig Themen statt, nämlich dort, wo diese Luft noch besteht. Dort wird durchaus relativ hart gerungen, aber die Tatsache, dass alle Parteien in der Regierung vertreten sind, bedeutet, dass es am Ende praktisch immer einen Kompromiss gibt. Das Suchen von Kompromissen ist eigentlich die Hauptaufgabe dieses Gremiums jede Woche.
Philipp Gut
Jetzt haben die Bürgerlichen ja eine Mehrheit auf dem Papier, es gibt zwei von der SVP, zwei von der FDP, weiter gibt es die Mitte, die so dazwischen steht, da könnte man in der Schweizer Politik eine klar bürgerliche Ausrichtung erwarten. Dies ist aber nicht immer so. Wie kommen da die anderen Allianzen zustande?
Ueli Maurer
Ja, das ist so. In einem solchen Gremium trägt nicht immer jedes Mitglied die Haltung einer Partei mit, sondern da kommen auch andere Aspekte hinzu, nämlich die Interessen des entsprechenden Departementes. Ich glaube, es kann nie eine wirklich bürgerliche oder linke Regierung geben, weil man diese Kompromisse sucht. Aber tatsächlich ist es so, dass wir die wirklichen Grundsätze der Schweizer Politik als Erfolgsmodell Schweiz immer wieder verlassen. Diese liberale Wirtschaftsordnung muss immer wieder in Frage gestellt werden, weil Macht nach mehr Macht sucht und mehr Macht mit mehr Gesetzen und Verordnungen zementiert wird. Die Folge davon ist, dass diese liberale Wirtschaftspolitik zusehends in Gesetzen und Verordnungen untergeht. Ich glaube, dass diese Entwicklung eines Gremiums Schicksal ist. Die Leute sind ja nicht einmal so unglücklich, wenn der Staat ihnen die Sorge oder die Entscheidung abnimmt. Das ist eine schlechte Entwicklung.
Philipp Gut
Ja genau, für mich als freier Mensch ist das natürlich umgekehrt, ich finde es eine Zumutung, wenn der Staat kommt und mir vorschreibt, welchen Motor mein Auto haben darf, wie ich zu Hause heizen soll, und dass ich vielleicht später überhaupt gar nicht mehr fliegen darf. Das wird aktuell diskutiert. Was läuft da schief in der Gesellschaft, dass wir auf eine solche Bevormundung zugehen?
Ueli Maurer
Ich kann es mir auch nicht immer erklären, vor allem ist das Tempo unheimlich. Wir hatten diese Tendenz seit Jahrzehnten ein bisschen, aber das hat sich in den letzten wenigen Jahren massiv beschleunigt. Diese zusätzlichen Regulierungen und staatlichen Maßnahmen sind auffällig. Ich glaube, Corona war ein wichtiges Element, um mehr Vorschriften machen zu können, aber auch in anderen Bereichen. Und ich glaube auch, dass die Medien hier einen wesentlichen Einfluss hatten und haben. Ein Beispiel: macht ein Parlamentarier einen Vorstoß für ein neues Gesetz oder eine neue Verordnung, wird das in den Medien einmal für gut erklärt, denn es löst einen angeblichen Missstand. Dann befragt man die Bevölkerung, und alle sagen, dass das schon in Ordnung sei. Somit ist die Meinung eigentlich gebildet, und wenn man sich dann noch dagegen wehrt, dann ist man ein Extremer, ein Vorgestriger oder irgendetwas. Die Meinungsbildung geschieht sehr oft so und die Medien haben immer mehr Einfluss. Die Politiker knicken auch immer mehr ein.
Philipp Gut
Sie haben vorher beschrieben, dass Macht nach noch mehr Macht sucht und dadurch sehr viele neue Gesetze geschaffen werden. Außerdem würden die Parlamentarier sich so selbst verwirklichen können oder auch gut dastehen, wenn sie möglichst viele Vorstöße machen. Nun wäre ein schlanker Staat eigentlich ursprünglich das Ideal der Schweiz gewesen. Die Verwaltung, der Staat wachsen stärker als die Wirtschaft. Wie kann man diese Entwicklung umkehren? Ist das überhaupt möglich?
Ueli Maurer
Ich habe das Gefühl, es geht nur, wenn der Druck von außen sehr groß ist. Das heißt, der Staat müsste weniger Geld haben und die wirtschaftliche Lage müsste schlechter sein. So wenig ich mir das wünsche, es könnte helfen, dass der Staat sich wieder auf die wesentlichen Aufgaben konzentrieren muss, aber solange das Geld im Überfluss vorhanden ist, verteilt er dieses Geld und lässt den Staatsapparat wachsen. Dem ist fast nicht Einhalt zu gebieten. Weniger Personal, weniger Geld und es könnte zu einer positiven Entwicklung kommen. Aber meine Hoffnung, dass es gelingt, ist nicht so groß.
Philipp Gut
Sie sind ja Vertreter der SVP, der Schweizerischen Volkspartei. Diese Partei ist mit Abstand die stärkste in der Schweiz. Was ist da noch möglich? Hat sie jetzt mit fast 28 % das Maximum erreicht oder liegt da noch mehr drin? Oder ist das Schweizer System vielleicht so, dass eine Partei zum Beispiel nie mehr als 30 % erreicht?
Ueli Maurer
Ich glaube schon, dass noch ein bisschen mehr möglich ist. Wir haben ja einen Zustand meiner Meinung nach, in dem wir zunehmend eine Spaltung in der Gesellschaft sehen. Spaltung, das ist ein krasses Wort. Wir haben eine vermeintliche Elite, die zunehmend über, sagen wir einmal, die einfachen Leute bestimmt. Diese Leute verstehen die Politik immer weniger, sie wenden sich ab, weil sie vom Staat enttäuscht sind.
Corona ist ein solches Beispiel. Ein weiteres Beispiel ist die Zuwanderungsinitiative, die vom Volk angenommen wurde. Im Parlament werden diese Gesetze jetzt ins Gegenteil umgewandelt und die einfachen Leute verlieren zunehmend das Vertrauen in die Politik. Wenn es gelingt, dieses Vertrauen wieder zu unseren Gunsten zurückzuholen, weil wir die Partei sind, die diese Leute vertritt und die versucht, für diese Leute das Problem zu regeln, dann kann dieser Anteil schon noch wachsen. Und ich glaube, er muss auch wachsen, damit man die einfachen Leute wieder hört und sie zur Kenntnis und sie ernst nimmt.
Philipp Gut
Früher waren viele dieser sogenannten einfachen Leute bei den Sozialdemokraten, das ist heute nicht mehr der Fall, oder?
Ueli Maurer
Ja, die Sozialdemokraten sind eine elitäre Gemeinschaft geworden, die relativ weit vom einfachen Leben weg entfernt lebt. Das ist so, leider.
Philipp Gut
Sie sind auch in die Geschichtsbücher eingegangen als ein sehr erfolgreicher Parteipräsident der SVP. Sie haben die Partei auch mal angeführt. Was würden Sie heute tun, damit Sie noch besser vorwärts kommen?
Ueli Maurer
Politik muss Emotionen wecken, die Leute müssen sagen, wenn ich das mache, dann ändert sich auch etwas. Diese Emotion, diese Empathie fehlt heute weitgehend in der Politik, alles ist so technokratisch geworden. Toni Brunner bei uns als Parteipräsident hat das damals noch gekonnt. Ich glaube, Politik ist Emotion, die Verbindung zum Leben, Verbesserung der Umstände, und wenn die Leute spüren, dass sie hier etwas bewegen können, dass sie spüren, dass Leute vorangehen, die diese Emotionen und das Herzblut haben, dann folgen sie. Die Politik wird leider auch immer elitärer, immer unverständlicher und das ist nicht gut, daher haben wir, glaube ich, auch so eine tiefe Stimmbeteiligung, das müssten wir verbessern.
Philipp Gut
Sie haben ein paar wichtige Themen schon kurz angesprochen wie zum Beispiel die Zuwanderung. Wir wollen uns jetzt darin vertiefen. Wie müsste man mit diesem Thema umgehen? Bleiben wir bei der Zuwanderung, wie sie heute von der Regierung gesteuert wird. Muss sich hier etwas ändern, wenn ja was?
Ueli Maurer
Das große Bild ist ja so, dass wir auch in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten einen Zustrom nach Europa haben werden. Den Zustrom aus Afrika können wir nicht stoppen. Wir müssen also bestimmen, wer und unter welchen Bedingungen in unser Land kommt. Wir sind ja ein Einwanderungsland, wie es beispielsweise Kanada ist oder Australien, dort gibt es gar ein Punktesystem. Man muss die Sprache können, man muss Geld haben, man muss eine Ausbildung haben, man muss für sich selbst sorgen können. Wer die nötigen Punkte erreicht, kann einwandern.
Wo wir noch steuern können, ist an unserer Landesgrenze. Die Leute sind zu Millionen mit falschen Illusionen unterwegs nach Europa. Den Zustrom stoppen wir nicht so schnell, aber an der Grenze müssen wir klarstellen, wer kommen darf und wer nicht. Wenn wir das konsequent klarmachen, wird sich das herumsprechen. Die meisten kommen mit Schlepperorganisationen. Es sind nicht die einfachen Leute, die Tausende von Kilometern mit dem Rucksack unterwegs sind, sondern Leute, die sich das finanziell leisten können. Es ist ein riesiges Business geworden.
Philipp Gut
Nun zum Stichwort Neutralität. Das ist eine Staatsmaxime der Schweiz sozusagen und gehört dazu, wie auch die direkte Demokratie oder der Föderalismus.
Jetzt ist diese Neutralität stark unter Beschuss geraten, auch von außen. Europäische Staaten und die Nato sagen, wir wollen das nicht mehr, das passt uns nicht. Viele wollen die Neutralität aufgeben. Können sie kurz den Zuschauern erklären, was der Kern der Neutralität ist, und warum sie immer noch ein brauchbares Konzept ist?
Ueli Maurer
Die Neutralität sagt ja, dass sich die Schweiz nicht in fremde Krisenherde oder in kriegerische Auseinandersetzungen einzumischen hat und außerhalb bleibt. Das ist die Qualität der Schweiz im Ausland. Beispiel Rotes Kreuz. Die Organisation besteht schon 150 Jahre. Es ist mitunter die erste Hilfsorganisation weltweit, die bei Konflikten gerufen wird, weil die Schweiz eben neutral ist.
Wir haben immer wieder zwischen verfeindeten Staaten vermittelt. Wir durften das, weil wir neutral sind. Die Neutralität ist für die Schweiz absolut notwendig, weil wir zu klein sind, um eine gewichtige Stellung zu beziehen. Aber sie ist vor allem für die Welt ein wichtiges Element, weil es immer wieder Länder braucht, die nach Konflikten ihr Terrain zur Verfügung stellen um Verhandlungen anzubieten, um verhandeln und Interessen wahrnehmen zu können. Die Schweiz ist ein Unikat. Niemand auf der Welt könnte das so gut wie die Schweiz. Es wäre unbedingt notwendig, wenn wir das endlich wieder konsequent machen würden. Wir sind immer dabei, uns anzupassen und nach links und rechts etwas einzuknicken. Eine strikte Neutralität ist zwingend erforderlich für die Welt und für die Schweiz ist es ein Erfolgsmodell.
Philipp Gut
Wie erklären Sie sich, dass die Neutralität ausverkauft wird? Ich meine nicht nur von linker Seite steht sie unter Beschuss. Es gibt auch Parteipräsidenten von bürgerlichen Parteien wie der FDP und der Mitte, die plötzlich die Neutralität nicht mehr hoch achten. Im Ukrainekrieg zum Beispiel sagen sie, man müsse da Flagge zeigen. Wir müssen sogar möglicherweise Munitions- und Waffenlieferungen ermöglichen, was natürlich dem Neutralitätsrecht völlig widerspricht. Wie ist so eine Umkehr möglich?
Ueli Maurer
Das gab es immer wieder in der Geschichte. In solchen Situationen war immer der Anpassungsdruck groß. Und dann gibt es Leute, die einknicken. Dies nur aus schweizerischer Sicht zu betrachten, genügt nicht, weil es die internationale Sicht der Schweiz mit ihrer Rolle braucht. Viele internationale Organisationen wie beispielsweise das Rote Kreuz mit Sitz in Genf und die UNO, die übrigens nur in Genf ansässig ist, nebst New York.
Es gibt nun einmal Länder, die nicht nach New York in die UNO wollen, sondern nach Genf. Es ist für das Ausland von entscheidender Bedeutung, dass es diese neutrale Schweiz gibt. Die Diskussion um Waffen- und Munitionslieferungen in der Schweiz haben der Neutralität geschadet. Damit ändert die Schweiz das Bild des Krieges nämlich überhaupt nicht, im Gegenteil, sie vergibt die Chance, nachher zu vermitteln, zu verhandeln. Für ein Butterbrot werden die Werte der Schweiz vergeben. Das ist gefährlich.
Philipp Gut
Ein weiteres großes Thema ist die EU. Die Schweiz diskutiert schon länger über ein sogenanntes Rahmenabkommen, auch institutionelles Abkommen genannt. Das wurde vor Kurzem beerdigt, auch auf Druck der SVP. Aber jetzt ist man offensichtlich schon wieder bereit, darüber zu diskutieren. Hört denn das nie auf?
Ueli Maurer
Nein, der Druck ist relativ groß. Einerseits kommt der Druck natürlich aus der EU. Die EU will bessere Abkommen. Zudem haben wir aber auch in der Schweiz Leute, die unsere Unabhängigkeit nicht so hoch schätzen wie die Mehrheit. Wir werden wahrscheinlich, so wie ich das heute beurteile, wieder ein Rahmenabkommen haben, das die institutionellen Bereiche der Schweiz betrifft. Es geht darum, europäisches Recht und europäische Gesetzgebung zu übernehmen. Das ist eine institutionelle Frage und hier darf die Schweiz nie nachgeben. Die EU ist bisher nicht bereit für die Schweiz eine gesonderte Lösung zu treffen und solange das so ist, kann die Schweiz dem nicht zustimmen.
Philipp Gut
So sind die Verhandlungen demnach sinnlos, richtig?
Philipp Gut
Ja, wenn die Schweiz sich nicht durchsetzt, sondern schon bei der ersten Runde auf die Forderungen der EU eingeht, bevor man überhaupt einmal einen Grundsatz ausgehandelt hat, müsste man sagen: Es ist wirklich sinnlos, denn am Ende sind wieder alle enttäuscht.
Philipp Gut
Was wäre für Sie die Lösung, braucht es überhaupt eine?
Ueli Maurer
Also ich glaube, wir fahren ja nicht so schlecht mit der Lösung, die wir jetzt haben. Und die EU auch nicht. Es ist eine wirtschaftliche Beziehung und wir haben eine freundschaftliche Kommunikation. In allen Bereichen haben wir die besten Beziehungen, wir sind das Land mit den meisten Grenzgängern, wir haben eine liberale Gesetzgebung, wir bieten gute Arbeitsplätze, was will man noch mehr?
Wenn die Schweiz näher an die EU rückt, nennt man dies eine Nivellierung. Wenn dies geschieht, verliert die Schweiz nur. Betrachten wir in diesem Zusammenhang den Eurokurs: er war einmal bei 1,70 Fr. Jetzt ist er unter einem Franken. Das zeigt deutlich die wirtschaftlichen Stärken oder Schwächen eines Landes und es bringt der Schweiz nichts, wenn sie sich mit einem Schwächeren zusammenschließt.
Philipp Gut
Ein weiteres Thema, das Sie beschäftigt, und zu dem Sie mit Ihren Aussagen die Debattenkultur mit anfeuern, ist das Stichwort «woke», «political correctness», oder «kulturelle Aneignung». Diese neudeutschen Begriffe sind in aller Munde. Wie nehmen Sie diese Debattenkultur wahr?
Ueli Maurer
Es ist eigentlich eine gefährliche Diskussion, weil man mit «wordings» versucht zu moralisieren und die Politik darf nicht moralisieren. Jeder hat seine Meinung und darf sie auch vertreten und wenn es moralisch plötzlich als schlecht gilt, wenn man eines dieser Wörter braucht, getraut man sich nichts mehr zu sagen. Wenn «Winnetou» plötzlich etwas Schlechtes ist, dann moralisiert man und das ist nicht die Aufgabe der Politik zu moralisieren. Diese Entwicklung ist leider in vollem Gange und das ist gefährlich. Wir müssen das dringend stoppen, denn es lenkt von den wirklich großen Themen ab. Kein Mensch kümmert sich um die 15 Milliarden, die der AHV in 15 Jahren jährlich fehlen werden. Das grosse Thema ist heute, ob ein Schulhaus 2 oder 3 Toiletten braucht!
Philipp Gut
Also völlig an der Realität vorbei. Was kann man dagegen tun? Wie kann man «freie Rede» wieder stärken?
Ueli Maurer
Einerseits ist es eine politische Frage, man verbindet dies rasch mit dem Antirassismus-Gesetz und mit dem Diskriminierungsverbot, und andererseits ist es eine Frage der Gerichte, die das immer enger auslegen. Aus jedem kleinsten Fall wird plötzlich ein Gerichtsfall gemacht. Es wird erst eine Diskriminierung festgestellt und dann daraus ein Straffall konstruiert. Es ist aber nicht nur ein schweizerisches Problem, sondern es geht darüber hinaus. Die freie Rede ist in unserer Verfassung gewährleistet. Sie muss gewährleistet werden, ob sie uns passt oder nicht. Mir passt auch nicht alles, was gesagt wird, aber trotzdem ist es zu akzeptieren.
Philipp Gut
Man muss andere Meinungen aushalten können. Die Schweiz ist ein sehr freies Land, da gehört dies zum Selbstverständnis. Der Diplomat und Historiker Paul Widmer hat einmal sinngemäß gesagt: Wenn die Schweiz nicht freier ist als andere, dann kann sie gleich aufhören. Wie sehen Sie das? Sind Sie zuversichtlich oder eher skeptisch? Sind wir wirklich noch freier als andere, können wir das so halten?
Ueli Maurer
Ich denke schon, dass wir in weiten Bereichen noch freier sind als andere Länder, aber diese Freiheit wird fast täglich irgendwo eingeschränkt. Die Freiheit ist das höchste Gut, das wir haben. Vor 175 Jahren wurde die Schweiz gegründet. In der neuen Verfassung steht, dass es um nichts anderes geht, als die Freiheit der Bürger zu schützen und nicht um diese Freiheit einzuschränken. Hier haben wir den Grundsatz der Verfassung immer wieder verlassen und das dürfen wir nicht mehr zulassen.
Wilhelm Tell, unser Nationalheld, hat es uns vorgemacht. Er wurde in seiner Freiheit eingeschränkt, er sollte einen Knicks vor Gesslers Hut machen. Tell sagte: Das mache ich nicht! Er hatte seine Armbrust, um sich zu wehren. Armbrüste haben wir nicht mehr, um uns zu wehren, es braucht andere Mittel. Aber hier gilt die gleiche Grundsatzfrage, die Schiller mit seiner Figur Wilhelm Tell ausdrücken wollte. Es geht um den Mut, sich für seine Freiheit einzusetzen.
Philipp Gut
Deshalb ist Tell vermutlich auch Teil unseres Nationalepos geworden. Wir sind jetzt am Jahresende, blicken wir kurz auf dieses Jahr zurück. Was bleibt für Sie in Erinnerung, was hat Sie in diesem Jahr 2023 noch bewegt?
Ueli Maurer
In Bezug auf diesen Ukraine-Russland-Krieg sehe ich den gleichen Einheitsbrei, wo man einfach Waffen liefert. Es gibt keine Anstrengungen, zu diskutieren, zu differenzieren, Lösungen zu finden. Es gibt keinen Dialog. Das ist etwas, das wir in den letzten Jahren zunehmend festgestellt haben. Die Medien verfolgen fast alle das gleiche Narrativ. Corona haben wir angesprochen, hier sehen wir wieder dasselbe. Wenn unsere Gesellschaft national oder international und die Medien nicht fähig sind zu differenzieren und das Problem von verschiedenen Seiten her zu betrachten, dann kommen wir immer tiefer in den Sumpf. Es ist zwingend notwendig offen zu sein, die Leute ernst zu nehmen, ihnen zuzuhören und nach Lösungen zu suchen. Das müssen wir im Alltag auch.
Philipp Gut
Wenn wir auf das neue Jahr 2024 schauen, was erwarten Sie da? Worauf freuen Sie sich?
Ueli Maurer
Auf die Olympischen Spiele. Ich glaube, ich bin eigentlich immer optimistisch, und die Politik kennt ja auch die Pendelbewegung. Jetzt haben wir einen extremen Ausschlag Richtung Grün und Links. Langsam dämmert es den Leuten, dass man sich hier etwas vergaloppiert hat, den Weg verloren hat. Ich bin zuversichtlich, dass wir in den nächsten Monaten wieder etwas pragmatischer werden. Das müssen wir wahrscheinlich auch, weil die Wirtschaft nicht mehr so rosig unterwegs ist und wir uns nicht mehr alles leisten können.
Philipp Gut
Kommen wir zum Schluss. Ich würde gerne noch ein paar Namen von Personen nennen zu denen Sie sich kurz äussern können.
Ueli Maurer
Sie macht das meiner Meinung nach erstaunlich gut zwischen den Fronten, wenn sie das so durchhält, bringt sie Italien ein Stück weit wieder auf den guten oder besseren Weg.
Philipp Gut
Ueli Maurer
Er ist ein mutiger Chef. Ich glaube, ihn braucht es in der EU, weil er eine andere Meinung vertritt.
Philipp Gut
Ueli Maurer
Ihn habe ich als Finanzminister gekannt. Er ist nicht stärker geworden.
Philipp Gut
Ueli Maurer
Er ist eigentlich ein guter Typ, weil er als Nicht-Politiker plötzlich Politiker geworden ist. Vieles hat er auch nicht gut gemacht, aber diese Außensicht in die Politik zu bringen war nicht so schlecht. Abgesehen von der Person, die er manchmal dargestellt hat.
Philipp Gut
Ueli Maurer
Für mich immer noch einer der besten Analysten, den wir in der Schweiz haben, um Probleme tief zu erfassen.
Philipp Gut
Ueli Maurer
Eine Enttäuschung auf der ganzen Linie. Noch schlimmer als damals als Verteidigungsministerin in Deutschland.
Philipp Gut
Ueli Maurer
Ich kenne ihn nicht, nicht fassbar für mich. Er hat zu viel Geld für mich, ich diskutiere nicht auf dieser Höhe.
Philipp Gut
Ueli Maurer
Ja, es braucht Gott. Wenn es ihn gibt, müsste er eingreifen.
Philipp Gut
Sehr schön, das nehme ich als Schlusswort. Es hat mich sehr gefreut, dass Sie bei uns in der Sendung waren. Herr Alt Bundesrat Ueli Maurer, vielen Dank.
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Alt Bundesrat Uli Maurer hat als einer von 5 bürgerlichen Bundesräten die schändlichen Massnahmen welche während der Plandemie den Bürgern dieses Landes auferlegt worden sind mitgetragen verursacht durch das Bundesamt für Gesundheit und Alain Berset. Selbst wenn er Mitglied einer Kollegialbehörde gewesen ist rechtfertigt dies nicht sein Schweigen. Er hätte sich längst erheben müssen um sich klar und unmissverständlich zu distanzieren von einer kriminellen Vorgehensweise ...
Eine weitere schweizerische Gewohnheit ist, dass sich Regierungsmitlieder nach ihrem Rücktritt weitgehend aus der Politik heraushalten!
Herr Maurer scheint von dieser Tradition nichts zu halten.
Impfung heisse Luft?Chabis!Die Impfung war gegen die Ursprugsvariante sehr gut wirksam!Dann verhütete sie bei der aggressiven Delta Variante schwere Erkrankungen: im Herbst Winter 2021 waren praktisch alle Corona Intensivpatienten ingeimpft,Jetzt bei der Omicronvariante schützt sie noch leicht vor Ansteckung und immer noch gut vor schwerer Erkrankung,Lieber Herr Maurer,immunologie kann man nicht bei Trychlen lernen!